Skifahrer in Not: Alpine Bergrettung in Annaberg

Schnell ist gar kein Ausdruck...
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Für Erzgebirgler ist es normal, auf „Schneeschuhen“ zu stehen. Und deshalb hat hier im tiefen Sachsen auch fast jede Gemeinde einen kleinen Skilift und eine Abfahrtsstrecke. Auch in der 29.000-Seelen-Gemeinde Annaberg gibt es eine Abfahrtsstrecke inklusive Rodelbahn, die hauptsächlich von Bewohnern der nahegelegenen Siedung und einigen Gast-Alpinisten genutzt wird. Bei den meisten Minipisten hängt lediglich irgendwo ein Erste-Hilfe-Köfferchen für den Notfall. Aber in Annaberg gibt es eine richtige Bergrettung – von den Johannitern.

Der Mann ist angetrunken, als er spät um elf Uhr am Fuße des Pölbergs spaziert. Der Skilift hat längst geschlossen, die Luft ist kalt und eine dicke Schneedecke liegt auf dem Weg. Plötzlich rutscht der späte Wanderer, stürzt unglücklich einige Meter die Böschung herunter: Oberschenkelfraktur. Finstere Nacht, allein im Wald, im Schnee — seine lallenden Hilferufe verklingen ungehört. Doch in der Hütte der Bergrettung einige Hundert Meter entfernt brennt noch Licht. Die Johanniter sind noch da, räumen auf und plauschen nach Schichtende. Beim verlassen der Hütte hören sie den Verletzten und beginnen sofort mit der Suche.
Die Bergretter sind ausgebildete Sanitäter oder Sanitätshelfer; nachdem sie den Mann gefunden haben, wird er geborgen und mit einem einfachen Holzschlitten 500 Meter zur Straßeneinfahrt gebracht. Parallel wird über Funk die Einsatzzentrale alarmiert. Peter Graupner, 53, Rettungsassistent, seit 1990 bei der JUH, holt den Verletzten dort ab, bringt ihn ins Krankenhaus. „Der Mann hatte großes Glück“, sagt Graupner heute. Wirklich schwere Verletzte sind am Pölberg selten. Die Alpin-Skipiste und die mit zwei Kilometern längste Rodelbahn des Kreises nutzen wintertags rund 200 Einheimische und vereinzelte Touristen. Die Abfahrtsstrecke vom 800 Meter hohen Berg ist eher etwas für Anfänger und Hobbyalpinisten. Während der Schneesaison gibt es durchschnittlich fünf Einsätze pro Woche, meistens Bagatellverletzungen, Schnittwunden und Schürfwunden durch Stürze, die vor Ort behandelt werden können. Seit 1994 wird die Bergrettung (die Bezeichnung „Bergwacht“ ist ein geschütztes Markenzeichen des DRK) von Stadtverwaltung und Johannitern betrieben. Die sieben Festangestellten arbeiten im Sommer im Schichtdienst im städtischen Freibad und dem Sportzentrum, im Winter sind sie am Skilift eingesetzt; ehrenamtlich sind sie Johanniter. Die Organisation kümmert sich auch um die Aus- und Weiterbildung in Erster Hilfe, stellt ein wesentliches Arbeitsgerät: Den Motorschlitten. Er war für die Genehmigung der Liftbetreibung erforderlich. Die Johanniter erwarben das Model „Alpine II“ damals für 26.000 Mark. Der Zweisitzer fährt im Schnee auf Gummiketten, Spitzengeschwindigkeit: 30 Km/h. Positiver Nebeneffekt für die Piste: Der Schneeboden wird festgedrückt, Unebenheiten ausgeglichen. Kurze schneefreie Strecken kann das Kettenfahrzeug überbrücken, doch auf längeren kommt es zum Gummiabrieb. Selbstverständlich ist auch ein Notfallkoffer mit Medikamenten, Spritzen, Schienen, Binden und Kompressen dabei. Bei kleineren Verletzungen wird direkt vor Ort geholfen. Für den Fall, dass der Abtransport ins Krankenhaus notwendig ist, führt der Benziner an einer flexiblen Kupplung einen Anhänger mit sich, eine Art „Trage auf Skiern“, auf der ein Verletzter liegen kann. Über die eingebaute Funktechnik und ein tragbares 4m-Funkgerät hat das Bergungsteam Kontakt mit der Rettungsleitstelle, dass die nächstgelegene freie Rettungswache benachrichtig. Der Verletzte wird dann zum Fuße des Skilifts gefahren, dort übernimmt der über Funk alarmierte Rettungswagen. Für Verletzte mit Verdacht auf Wirbelsäulenfraktur ist der Schlitten mit einer flachen Schaufeltrage aus Aluminium ausgestattet, die unter den Verletzten geschoben werden kann, bevor er auf die eine Vakuum-Matratze gehoben wird, die ebenfalls dabei ist. Ob die Skipiste auch die nächste Jahre erhalten bleiben kann ist ungewiss. Zwar schließt der Betrieb durch die Einnahmen für den Skilift mit einer „schwarzen Null“ ab. Aber eine neue EU-Norm fordert von Liftbetreibern zukünftig, ein weiteres Pistenfahrzeug vorzuhalten. Das kostet ab 30.000 Euro aufwärts. Zudem werden die Winter immer kürzer, der Schneefall spärlicher – Auswirkungen der Erderwärmung? Die Johanniter um Peter Graupner und seine Kollegen hoffen jedenfalls, dass die Annaberger Piste dem Wintersport noch lange zur Verfügung steht. „Schließlich ist es für uns Erzgebirgler normal , Skier zu haben und auch damit zu fahren“, sagt er. Oliver Numrich

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