Berliner Mythen: Die Heimat der Nationalelf

Walter Sigismund Emil Adolf von Pannwitz ist ein ernsthafter Mann; jähzornig und nicht imstande Widerspruch zu ertragen. Das macht ihn nicht zum Außenseiter, sondern zum erfolgreichsten Anwalt des Kaiserreichs. Auch für Wilhelm Zwo ficht er Prozesse aus, sorgt etwa dafür, dass Frank Wedekind wegen Majestätsbeleidigung drei Monate in Festungshaft genommen wird.

Mit den Honoraren, vor allem mit der Mitgift seiner Frau Catalina, die aus einer argentinischen Rinderzüchterfamilie stammt, baut Pannwitz 1912 für fünf Millionen Goldmark eine der prachtvollsten Villen von ganz Grunewald: museumsartige Eingangshalle, Prunkräume im Stil des 18. Jahrhunderts und mehr Blattgold als in jedem anderen Berliner Privathaus. Seine Majestät ist 103 Mal zu Gast – ihm wird eine Liaison mit der Hausherrin nachgesagt. ’Schnür sie sich das Mieder auf, sie weiß ich habe wenig Zeit’ soll der Kaiser ihr befohlen haben.

So erzählt es Uta Felgner, die Direktorin des Hotels, das sich heute im ehemaligen Adelspalais befindet. Dafür wurde das Haus drei Jahre lang von Karl Lagerfeld, 36 Restauratoren, 14 Tischlern, sechs Vergoldern und vier Steinmetzen in eine Luxusherberge transzendiert. Den neuen Look beschreibt der Couterier als Mischung von Heute und dem Berliner Stil der Reformarchitektur. „Das ist Historie, hier ist alles alt und original“, sagt Felgner, „im Kempinski ist doch alles Plüsch.“ Felgner trägt zum schwarzen Rock ein tulpenfarbenes Kostüm, eine rosa schimmernde Perlenkette und einen unübersehbaren Brillantring. Seit zwei Jahren führt die Betriebswirtin das exklusive Haus mit 54 Zimmern und 84 Mitarbeitern.

„Das Hotel ist mein Leben geworden, ich bin immer hier“, sagt sie mit einem glücklichen Gesichtsausdruck und weist im nächsten Moment einen Kellner zurecht: „Wenn Sie die Klinke richtig runterdrücken, geht die Tür auch leicht auf.“ Ähnlich cholerisch wie seinerzeit Pannwitz muss der Gast aufgetreten sein, den die Chefin eines Abends des Hotels verwies. „Er hat sich nicht unserem Hause angemessen verhalten“, sagt sie gequält. Der Gast hieß Klaus-Joachim Gebauer und war noch für eine Weile Personalmanager bei VW, bis durch Felgners Beschwerde die Hartz-Affäre um exorbitante Spesenabrechnungen ins Rollen kam.

Die Netzwerkerin ist längst eine gesellschaftliche Größe in der Hauptstadt: Sie bringt auf Kochabenden Wirtschaft und Politik zusammen, sitzt im Beirat der Investitionsbank und wirbt als Lobbyistin für den Berliner Fußballverband. Ob es damit zu tun hat, dass die deutsche Nationalmannschaft für die Fußball-WM das komplette Hotel anmietet? „Ich bin mit Herrn Klinsmann persönlich bekannt“, mehr sagt sie nicht und lächelt distinguiert, „wissen sie, Diskretion schreiben wir hier sehr groß.“

Dann verrät sie noch, dass während der WM das Eingangstor verriegelt würde, denn die Abgeschlossenheit des Anwesens sei sein größter Vorteil. Schließlich stünden die Spieler unter einem enormen Druck und dann sei es gut, wenn keine Fans oder andere Hotelgäste stören. Nur die Hotelküche wird sich umstellen müssen: „Es gibt genaue Kalorienvorgaben, damit die Spieler nicht fett werden wie Salatschnecken.“ Oliver Numrich

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