Hospizdienst: Mit 76 Jahren aktiv in der Sterbebegleitung

Hilde Villwock
Hilde Villwock

Nur anderthalb Jahre ist Hilde Villwock zur Schule gegangen, dann war Schluss – „Das reicht“, meinte ihr Vater, „ein Mädchen heiratet und wird Heimchen am Herd, wozu da Schulbildung!“ Jetzt, mit fast 76 Jahren, blüht die Hannoveranerin auf und holt alles nach, was sie früher nicht durfte oder konnte. Ihre Mitarbeit beim Besuchs- und Hospizdienst der Johanniter in Hannover-Leine hat einigen Anteil am späten Glück.
Vom sechsten bis zum 14. Lebensjahr muss Hilde im Wald Feuerholz schlagen, das ihr Vater in der Stadt verkauft. Wenn ihre Hände von der schweren Arbeit bluteten, hörte sie von ihrem Vater nur „Wickel Dir ein Taschentuch um und mach weiter.“ Auf eine Kindheit, die keine war, folgt ein Leben voller Arbeit und Mühsal. „Ich habe harte Jahre hinter mir, es war nicht leicht für mich“,  sagt die 76-Jährige, die als Putzfrau, Maschinenführerin und Altenpflegehelferin gearbeitet hat, „aber heute geht es mir supergut.“ An ihrem späten Glück haben die Johanniter einen Anteil. Nach dem Tod ihres Sohnes ist sie zunächst in ein tiefes Loch gefallen.

Für ihre Touren füllt sie sich Wasser in Flaschen ab.
Für ihre Touren füllt sie sich aufbereitetes Leitungswasser in Flaschen ab.

Doch dann hört sie im Radio, dass die Johanniter freiwillige Helfer für den Besuchs- und Hospizdienst suchen. „Ich hatte gerade noch Gelegenheit, die Telefonnummer aufzuschreiben“, erinnert sie sich. Kurzerhand ruft sie die notierte Nummer an und verabredet einen ersten Gesprächstermin. „Ich hatte ja nur diese zwei Möglichkeiten“, sagt sie heute, „entweder ich bleibe im tiefen Loch sitzen oder ich tue was und komme wieder unter Leute.“ Anfangs hat sie Schwierigkeiten, auf Menschen zuzugehen und mit ihnen über Persönliches zu reden. Doch nach und nach überwindet sie die Angst, man könnte ihr die geringe Schulbildung anmerken. „Ich hatte ja keine Rechtschreibung – woher sollte ich die haben“, sagt Hilde. Doch zum Lernen ist man nie zu alt. Mit 70 lernt sie Briefe zu schreiben. Wörter, die sie nicht kennt, schlägt sie im Duden nach, der griffbereit auf dem kleinen Schreibtisch liegt. Eine Johanniter-Kollegin, die früher Lehrerin war, ermuntert sie und korrigiert die Übungsbriefe. Trotz grauen Star auf beiden Augen, liest Hilde viel, am liebsten in Büchern, die sich mit Meditation und Glauben beschäftigen. Für ihre Klienten scheut sie keine noch so lange Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Bis zu einer Stunde ist sie pro Richtung unterwegs. Immer auf dem Rücken: ein Rucksack mit zwei Flaschen selbst gemachtem Mineralwasser, Regenschirm, Kursbuch und Stadtplan. „Ich kann gut zuhören“, sagt sie, „und da erfährt man so einiges, womit sich ein Mensch ein Leben lang rumgeplagt hat…“ Gemeinsam mit den Betreuten arbeitet sie das auf, weil viele Menschen heikle Sachen besser mit Fremden als mit Familienangehörigen besprechen könnten. Auch ihr eigenes Leben arbeitet Hilde Villwock auf: Jetzt, da sie das Schreiben gelernt hat, schreibt sie an einem eigenen Buch. Oliver Numrich

Der kleine "Altar" mit christlichen Utensilien in Hilde Villwocks Wohnung.
Der kleine "Altar" mit Kerzen, Steinen und Andenken in Hilde Villwocks Wohnzimmer.

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