Dass beim Haareschneiden Kaffee, Wasser oder auch mal ein Glas Sekt gereicht wird, gehört längst zum guten Ton in Berliner Friseursalons. Beim Waschen gibt es eine kleine Kopfmassage und den Herren dünnt man gerne die buschigen Augenbrauen aus. Doch die Konkurrenz ist groß und so werden die Zusatzleistungen, mit denen Friseure ihren Kunden verwöhnen, immer vielfältiger und – typisch Berlin – immer ausgefallener. „Ich biete auch die Lösung von Seelenproblemen an“, sagt etwa Friseurin Ramaja Jäger von „Farbecht“ in der Veteranenstraße 13. In ihrem Salon wird nicht nur geschnitten, hier stehen in einem separaten Bereich auch über 100 bunte Glasfläschchen, aus denen ein Kunde mit Seelengrimmen vier Stück auswählen kann, um mit den Farben in Beziehung zu treten. „Aura Soma“ heißt diese Farbseelentherapie, die 1984 von der blinden Apothekerin Vicky Wall entwickelt wurde. „Wir können so etwas anbieten, weil es bei uns im Friseurladen sehr ruhig und entspannt zugeht“, erklärt Ramaja, die sich schon lange für Farben interessiert und immer wieder in Aura Soma, Reiki und Feng Shui weiterbildet. So gehört bei ihr die Farbberatung vor dem Haarefärben selbstverständlich zum Standardprogramm. Nur die große, zwei- bis dreistündige ganzheitliche Farbberatung ist eine separate Dienstleistung und muss extra bezahlt werden. Auch bei der obligatorischen Kopfmassage nach der japanischen Haar- und Hautwäsche mit heißen Kompressen kommen die Essenzen von Aura Soma zum Einsatz. Besonders Männern scheint all das zu gefallen. „Wir haben einen hohen Männeranteil“, sagt Ramaja, „die kommen immer wieder, weil die sich bei uns so wohl fühlen.“ Eine Herrenfrisur kostet 30,- Euro, Damen bezahlen 45,- Euro. Entspannung und Wohlfühlen wird auch bei „schönsein“ ganz groß geschrieben. Schon beim Betreten dringt der Duft sanfter Zitrusöle in die Nase, zur Begrüßung gibt es klaren Ingwertee. Über großzügige 180 Quadratmeter erstreckt sich die Schönheits-Oase in der Zossener Straße, nahe der Bergmannstraße. Neben Frisuren werden hier in zahlreichen Nebengelassen und Kabinen sämtliche „körpernahe“ Dienstleistungen angeboten, etwa Kosmetikbehandlungen, Enthaarung, Maniküre, Pediküre sowie eine Vielzahl verschiedener Massagen von traditioneller Thaimassage bis zur Lymphdrainage. So wird aus einem einfachen Friseurbesuch schnell ein kleiner Beauty- und Wellnessurlaub. „Ich wollte mir eigentlich nur die Haare machen lassen“, sagt auch die Grundschullehrerin Sabine, die sich jetzt schon in der sechsten Stunde im Salon aufhält, weil sie sich immer wieder in die geschulte Hände der Masseurin und der Kosmetikerin begibt. Eiligen Kunden empfiehlt Chefin Christiane Paes, wenigstens 15 Minuten auf dem Massagestuhl Platz zu nehmen: „Da kann man die Schultern mal so richtig schön hängen lassen.“ Auch bei den Männern wachse das Bewusstsein für einen von oben bis unten gepflegten Körper, sagt Christiane. „Seit es den Trend zum metrosexuellen Mann á la David Beckham gibt, kommen immer mehr Männer zu Gesichtsausreinigung oder Pediküre zu uns.“ Schönes mit Schönem zu verbinden war die ursprüngliche Idee von Shan Rahimkhan. Der Starfriseur lebte lange in Wien und lernte dort die Kaffeehauskultur kennen und schätzen. Deshalb schloss er seinem Salon ein ebenso durchgestyltes Café mit sensationellem Blick auf den Gendarmenmarkt an. „Meine Kunden haben mich häufig angesprochen“, sagt Shan, „du hast einen guten Geschmack, einen tollen Laden, gib mir einen Rat, was ich meinem Mann oder einer Freundin schenken kann.“ Also eröffnete er nebenan eine Boutique mit ausgewählten Geschenkideen, mit Accessoires, Schmuck, Büchern, Taschen, Lampen, CDs und vielem mehr. Erfolgrezept für alle drei Geschäfts sind die handverlesenen Mitarbeiter. „Sie sind die Seele meines Ladens“, sagt Shan, „ich habe die besten von überall, egal ob Friseure, Verkäufer oder Kellner.“ Vielleicht auch wegen des aufmerksamen Personals und der ungezwungenen, entspannten Atmosphäre kommen auch viele Prominente zu Shan. „Mein Ziel bei allen drei Geschäften ist lässige Eleganz. Denn das passt sehr gut zu Berlin. Nichts ist schlimmer, als wenn alles so overstylt ist. Man muss das mit einem Augenzwinkern, mit Lässigkeit rüber bringen.“ In der Görlitzerstrasse 32A hat sich mit dem „Salon Sucre“ eine einzigartige Kreuzberger Mischung ergeben: Die Brasilianerin Katia Barcellos betreibt hier ein Friseurgeschäft und ihr aus Frankreich stammender Freund Eric Muller eine Pâtisserie. „Wir wollten einfach zusammen ein Geschäft aufmachen und haben gar nicht darüber nachgedacht, ob es passt“, erklärt Katia die ungewöhnliche Kombination. Während die Kunden auf das Schneiden warten oder die Haarfarbe für Strähnchen einwirken lassen, können sie Eclairs, Croissants oder Quiches aus eigener Produktion probieren. Und die meisten wollen immer beides: Frisur und Kuchen. Dann kommen sie etwas früher oder bleiben noch nach dem Frisieren. Dann zelebriert die Kundschaft gerne eine „petite quatre heure“, das französische Gegenstück zum „Five-o’Clock-Tea“ und zum deutschen „Kaffee und Kuchen“ um drei. Fürs reine Haareschneiden ohne Süßes verlangt die Stylistin 45 Euro, egal ob Mann oder Frau. „Ich will keinen Ärger mit den Lesben“, erklärt Katia den Unisex-Preis, „die haben mich lange genervt, warum die Männer weniger bezahlen müssen. Und ehrlich gesagt finde ich, sie haben recht: Alle haben den gleichen Preis verdient.“ Noch eine Spur verrückter geht es zu bei Tim Pemitzsch in der Freischneiderloge in der Eisenbahnstraße 8. Der Neffe von Joseph Beuys ist weniger Friseur, als ein Künstler. Nur dass er auf reduzierende statt auf bildende Kunst setzt und seine Werke aus Papier oder aus Haarschöpfen herausschneidet. Sein Salon ist zugleich Atelier und Galerie für Hunderte kleiner und großer Schnitte und Collagen, in denen er am liebsten Druckmedien sabotiert oder mit politischen Inhalten auflädt. Alle kleinen Freischnitt-Objekte sind handgefertigt und werden vom Künstler signiert. „Ich mache keine Frisur, ich mache einen Freischnitt“, sagt Tim, „das ist angewandte Kunst.“ Was dabei rauskommt bezeichnet er selbst als London Style, irgendwie britisch und mit Sicherheit höchst individuell. Und zu jedem Schnitt gibt es auch noch ein kleines Kunstwerk gratis dazu. Oliver Numrich
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