Prinzip Hoffnung: 1-Euro-Jobs – Zwangsarbeit oder Chance?

Haste mal nen Euro-Jobber?
Haste mal nen Euro-Jobber?

Von einem „Verschiebebahnhof in die Armut“ spricht der Arbeitslosenverband, kein „Wunderheilmittel, sondern ein Medikament mit vielen Nebenwirkungen“ nennt sie  der Deutsche Gewerkschaftsbund. Die Rede ist von 1-Euro-Jobs, jenem neuen Instrument der Beschäftigungsförderung aus dem Harzt-IV-Paket der Bundesregierung, das zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist. Zwischen 500.000 und einer Millionen davon sollen in diesem Jahr entstehen. Auch in fast allen Landesverbänden der Johanniter sind 1-Euro-Jobber beschäftigt. Die neue Art der öffentlich geförderten Jobs hat der umstrittene Chefreformer Peter Hartz für Arbeitslosengeld-II-Empfänger, die vormaligen Empfänger von Sozialhilfe,  kreiert. Wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) sollen sie einerseits der Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsalltag dienen, sind andererseits ein handfestes Druckmittel gegen unmotivierte Arbeitslose, die ihre Mitwirkungspflicht bei der Stellensuche vernachlässigen. Diesen Arbeitslosen kann die Arbeitsagentur bis zu 30% der Bezüge streichen, jugendlichen Arbeitslosen unter 25 können die Leistungen sogar komplett gestrichen werden. Die Bundesregierung nennt dieses Prinzip gerne „Fördern und Fordern“, in anderen Zeiten hätte man gesagt „Zuckerbrot und Peitsche“. Handelt es sich bei den Ein-Euro-Jobs also um eine moderne Form der Zwangsarbeit wie manche Betroffenenverbände formulieren?

JUH-Vrostand von Woedtke
JUH-Vorstand von Woedtke

„Also, Unwillige kann ich mir nicht in diesem Job überhaupt nicht vorstellen“, sagt Frank v. Woedtke, 35, ehrenamtlicher Vorstand des sächsischen Kreisverbandes  Löbau-Zittau. „Die Jobber haben sich freiwillig bei Johannitern beworben und daraus wurden 15 ausgewählt. Voraussetzung sei deren persönliche Offenheit für die Arbeit mit Kinder oder alten Leuten. V. Woedtkes Landkreis ist eine von deutschlandweit 69 „optierenden“ Kommunen, die die Aufgaben der Arbeitsagentur mit übernommen haben. Als klar war, dass das örtliche Job-Center 500 1-Euro-Jobs 500 einrichten würde, ist er zum Landrat marschiert und hat die Johanniter ins Spiel gebracht. Dann hat er einen Brief an die Johanniter-Akademie geschrieben und gefragt, ob die eine entsprechende Weiterbildung anbieten können. Postwendend schickte die das Konzept zum „Betreuungsassistenten im Rahmen von Hartz IV“, eine niedrigschwellige Berufsqualifikation bestehend aus Erster Hilfe, Grundlagen der Pflege und Motivationsseminar. „Uns war wichtig, den Leuten auch etwas mitzugeben, wenn sie sich für ein halbes Jahr bei uns engagieren“, sagt v. Woedtke. So erhalten die 15 1-Euro-Jobber bei den Johanniter im KV Löbau-Zittau am Ende der halbjährigen Tätigkeit neben den praktischen Erfahrungen auch ein Abschlussurkunde, die motivieren und sich bei der Stellensuche positiv auswirken soll. Katrin Schenke, 32, hat sich blindlings bei den Johannitern beworben, als sie von der Möglichkeit der 1-Euro-Jobs erfuhr. Die Langzeitarbeitslose aus Großschönau findet keine Anstellung als Köchin. Eigentlich wollte sie eine Umschulung zur Altenpflegerin machen, aber das Arbeitsamt lehnte die Finanzierung ab, weil ihr Kochberuf „verfügbar“ sei – allerdings nur im Schichtdienst und dem kann die Alleinerziehende eben nicht nachkommen. Die junge Mutter hat schon ein halbes Jahr bei Johannitern in Programm „Arbeit für Langzeitarbeitslose“ verbracht, pflegt nebenher ihren zuckerkranken Vater und hofft darauf, sich neben der Tätigkeit bei den Johannitern zur Altenpflegerin weiterbilden zu können. „Manche sagen ‚Du bist ja blöd, für 1,50 Euro arbeiten zu gehen’, aber ich will ja nicht zu Hause sitzen“, sagt Schenke. „Die Arbeit macht mir Spaß und die 180 Euro im Monat werden nicht angerechnet, das hilft schon weiter.“ Auch die anderen 14 Langzeitarbeitslosen des Kreisverbandes haben sich freiwillig bei den Johannitern beworben. Wie Sylvia Krischker, 48. Die  Textilfacharbeiterin ist seit 12 Jahren arbeitslos. Seit 1666 wurde in Großschönau Damast gewebt, 1986 stand hier der erste Frottierhandwebstuhl Deutschlands, zu DDR-Zeiten schlug in der Oberlausitz das Herz der Textilindustrie. Heute erinnert nur noch das „Deutsche Damast- und Frottiermuseum“ an die einstigen Arbeitsplätze. Sylvia Krischker bewarb sich bei allen örtlichen Wohlfahrtsorganisationen. AWO und Volkssolidarität sagten ab, DRK, Jugendweihe-Verband und JUH waren bereit, sie zu nehmen. Sie entschied sich für die JUH, weil die als erste antworteten. „Ich wollte ein Vorbild für meine drei Kinder sein“, sagt Krischker, „und den ersten Job nehmen, der klappt.“ Auch Ralf Witschas, 38, ist einer 15 1-Euro-Jobber in Löbau-Zittau. Der Elektromontierer fährt seit einem Jahr als Geringfügigbeschäftigter für die Johanniter Essen aus. Doch weil das Einkommen zu 85% auf das Arbeitslosengeldes II angerechnet werden, bleiben ihm von rund 400, Euro nur 60 Euro übrig. Durch den 1-Euro-Job macht er dieselbe Arbeit, aber fährt finanziell besser. Zur Zeit hat er 14 Kunden, die täglich warmes Essen aus der Lazarus-Küche bekommen. Seine Alten freuen sich, wenn er ihnen nach der Schulungswoche, wieder selbst das Essen bringt. „Aha, der Chef kommt wieder persönlich“, sagen die dann. Wenn es mal mehr Kunden werden sollten, hat ihm der Vorstand Hoffnungen gemacht, würde er regulär. Aber 14 warme Essen, das reicht nicht für eine echte Stelle. „Ich mache, um überhaupt was zu tun, damit man am Ball bleibt.“ Ob sich dieser Ball tatsächlich jemals in den sächsischen Zipfel zwischen Tschechien und Polen verirrt? „Jede Sparte von GFB, über Zivi, FSJ oder 1-Euro-Job hat was besonderes anheim“, sagt Thomas Deuter, Vorstand im Regionalverband Nordschwaben, „Jobber bleiben maximal ein Jahr bei uns und können zwischendurch abspringen. Aber sie haben einen finanziellen Vorteil gegenüber FSJlern.“ Deuter, der zur Zeit drei 1-Euro-Jobber in den Bereichen Kinder- und Jugendarbeit und Seniorenbetreuung beschäftigt, ist der Meinung, jede Dienststelle müsse den richtigen Mix finden. Letztendlich komme es auf die Motivation der Bewerber an. Denn die Voraussetzung dafür, dass 1-Euro-Jobs könnten sowohl als Integrationshilfe für Menschen dienen, die lange aus dem Berufsleben ausgeschieden sind, als auch für die Träger von Nutzen sind, sei, dass die Betroffenen selbst auch mitmachen wollen. Seine persönlichen Erfahrungen mit den neuen Arbeitsangeboten sind durchweg positiv: wirtschaftliche und soziale Vorteile für die Träger und die Betroffenen. „Denn wer zu Hause sitzt und dem die Decke auf den Kopf fällt, der freut sich wenn er wieder eine Aufgabe bekommt“, sagt Deuter, „und das liest sich auch im Lebenslauf besser, wenn da steht, dass sich jemand bei den Johannitern engagiert hat.“ Oliver Numrich

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