Rechtsextremismus: Alternativen zur Gewalt anbieten

Görlitz ist nicht Wurzen. Die pittoreske Grenzstadt an der Neiße will 2010 Europas Kulturhauptstadt werden, da stören Skinheads im touristischen Stadtzentrum. Doch dass die Rechten oft den Ton angeben, hat auch Phillip Triemer schon am eigenen Leib erfahren. Der neunzehnjährige Johanniter war als Sanitäter bei einem Fußballspiel eingesetzt, als er bemerkte, dass jemand CDs mit rechtsradikaler Musik anbot. Er wollte den Verkäufer zur Rede stellen, doch der machte ein paar Anrufe per Handy und binnen weniger Minuten stand ein Dutzend rechter Schläger vor den Sanitätern. „Wir konnten schnell noch unser Material in den Rettungswagen werfen flüchten“, erzählt Phillip. Seine Anzeige bei der Polizei wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt. Um der Gewalt vor allem unter Jugendlichen etwas entgegen zu setzten, hat die örtliche Johanniter-Jugend um Phillip im Sommer 2004 ein Projekt ins Leben gerufen: „Wut im Bauch“. Die Schülerinnen und Schüler haben alles selbst gemanagt: Veranstaltungen geplant, Sponsoren aufgetan, Anträge gestellt. Gisela Mahner, 45, die bei den Johannitern für Ausbildung und Jugend zuständig ist, hat die Jugendlichen dabei von Anfang an unterstützt. Denn auch sie musste Erfahrungen mit rechter Gewalt machen: Ihr Zeltlager wurde mitten in der Nacht von rechten Schlägern überfallen. Mahner konnte gerade noch mit den Kindern und Jugendlichen auf die Toiletten flüchten, als draußen der rechte Mob tobte. Die Rechtsextremen wollen nicht, dass es Alternativen zu ihren „Freizeitangeboten“ gibt. Doch genau das wollten die Jugendlichen mit ihrem Programm anbieten. Dafür erhielten sie nach und nach immer mehr Unterstützung: Es gab Fördermittel vom Bun­desjugendring, Görlitzer Händler spendeten Lebensmittel und Material, stellten Autos zur Verfügung und das Jugendamt gab 1.500 Euro dazu. „Wut im Bauch“, das waren über 25 Aktionen: Schwimmwettkämpfe, Meditationskurse und Freiluftkino, aber auch Veranstaltungen, in denen die Polizei über Drogen informierte oder Justizbeamte Deeskalationstraining anboten. Das Programm war so erfolgreich, dass Phillip Trie­mer und Gisela Mahner den Förderpreis „Jugendpolitik und politische Teilhabe“ von Johanniterpräsident Hans-Peter von Kirchbach entgegen nehmen konnten. Es wird jetzt auf Schulen in anderen sächsischen Städten ausgedehnt. Darüber hinaus haben Johanniter-Unfall-Hilfe und Johanniter-Jugend ein bundesweites Aktionsprogramm gegen Extremismus aufgelegt, das u. a. Zivilcourage bei Kindern und Jugendlichen fördern und Gewalt verhindern soll. Die Angebote reichen von speziellen Fortbildungen für Jugendgruppenleiter, über Besuche von Gedenkstätten bis hin zu Foto-Workshops. Oliver Numrich

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