Zunächst verläuft die Schwangerschaft normal. Es sieht so aus, als bekämen Manuela und Oktay Dorsun endlich das Wunschkind, auf das sie schon so lange gewartet hatten. Doch dann treten Komplikationen auf: Der Muttermund öffnet sich, eine Infektion kommt dazu, dann die Frühgeburt im Dezmeber 2002 in der 26. Schwangerschaftswoche. Lisa wiegt knapp 1000 Gramm. Doch Lisa hat Chancen durchzukommen, sagen die Ärzte der Kinderklinik der Universität Mainz. Und die Eltern hoffen, dass sie recht haben. Vier Wochen nach der Geburt sieht es so aus, als habe Lisa es geschafft. Doch in jener Nacht verschlechtert sich ihr Zustand dramatisch. In einer Not-OP wird festgestellt: Lisa leidet unter einer Dünndarmverschlingung. Infektionen, Löcher im Darm, wie sie bei Frühchen häufig sind, hätte man in den Griff bekommen, doch bei Lisa ist der Darm komplett verdreht, etliche Darmzellen sind wegen mangelnder Durchblutung schon abgestorben. Die Ärzte müssen fast alles entfernen, nur 20 Zentimeter Dünndarm und Teile vom Dickdarm sind übrig. Die Überlebenschance von Lisa liegt einen Monat nach ihrer Geburt bei unter fünf Prozent. Fünfeinhalb Monate lebt Lisa nun auf der Intensivstation, wird rund um die Uhr künstlich ernährt. Oktan Dorsun besucht sie jeden Tag vor und nach der Arbeit. Die Mutter ist jede Minute , in der sie nicht schläft, bei ihrem Kind. Beide leben praktisch auf der Station, bestellen Pizza zum Abendbrot, kennen alle Pfleger und Schwestern. „Die Klinik war unser zweites Wohnzimmer“, sagt Manuela Dorsun. „Jedes mal, wenn ein Arzt reinkam, haben wir gehofft, dass er uns sagt: ,Alles wird gut, jetzt ist sie übern Berg. Aber das konnten sie nicht sagen.“ Stattdessen haben sie beschlossen, nicht mehr über die Überlebenschancen ihres Kindes nachzudenken: „Kein Kind hat eine Überlebenschance von 100 Prozent. Andere Eltern denken auch nicht ständig darüber nach, was alles passieren könnte.“ Ein halbes Jahr nach der Geburt gibt es Hoffnung. Durch einen ausgeklügelten Ernährungsplans wurde Lisa aufgepäppelt und die Darmausgänge konnten zusammengelegt werden. Stationsarzt Dr. Krämer geht das Wagnis ein, die Kleine mit ihren Eltern nach Hause gehen zu lassen. Später gibt er zu, Lisa sei das jüngste, kleinste und leichteste Kind mit künstlicher Ernährung, das er je aus der Intensivstation entlassen habe. Der Arzt besorgt Perfusoren und vermittelt den Kontakt der Eltern zur Kinderkrankenpflege der Johanniter-Unfall-Hilfe in Mainz. Deren Zusage, die Pflege zu übernehmen, war Voraussetzung für die Entlassung. Die Eltern sind
überglücklich. Doch bevor es soweit ist, besucht Hildegard Mengel, Kinderkrankenschwester der Johanniter, einige Male die Familie Dorsun im Krankenhaus, trifft erste Absprachen: Welche Pflegemittel werden benötigt? Wie häufig müssen die Johanniter kommen? Hildegard Mengel übernimmt auch die Verhandlungen mit den Krankenkassen. „Die meisten Eltern lernen nach einer Weile, ihre Kinder selbst zu versorgen“, sagt sie, „aber neben der praktischen pflegerischen Hilfe brauchen sie drei Dinge von uns: eine Telefonnummer, Vertrauen und Verständnis für ihre Sorgen und Ängste.“ Die Eltern sind glücklich, das Leben mit ihrer Tochter von nun selbst gestalten zu können. „Bisher mussten wir uns dem Klinikalltag unterordnen, aber zu Hause wollten wir wieder selbst Herr des eigenen Lebens werden“, sagt Manuela Dorsun. „Zum Glück hat Schwester Hildegard nicht gleich das nächste Regiment geführt, sondern uns gefragt hat, wie sie uns helfen soll.“ Die Johanniter kommen in den ersten Monaten täglich zwei Mal, stöpseln abends die Ernährung an und nach zwölf Stunden am nächsten Morgen wieder ab. Normalerweise. Sobald aber eine Infektion auftritt, müssen sie die Dienstpläne umschreiben und drei mal täglich und zu anderen Zeiten kommen. Unmöglich für eine einzelne Kinderkrankenschwester ohne eine Organisation im Hintergrund. Besonders rechnet Manuela Dorsun den Johanniter-Schwestern an, dass diese den manchmal verzweifelten Eltern nicht nach dem Mund reden: „Sätze wie ‚Das wird schon wieder‘ haben sie nie gesagt. Das weiß auch kein Mensch. Hildegard hat mich manchmal einfach nur in den Arm genommen und nichts gesagt oder gefragt. Das auszuhalten ist nicht einfach.“ Jetzt kommen die Johanniter nur noch einmal die Woche, denn Lisa geht es gut. Niemand kann sagen, ob sie sechs Jahre alt wird – aber im Moment könnte sie auch 80 werden. Die Eltern haben aufgehört, jeden Tag die Wahrscheinlichkeit neu auszurechnen. „Denn wenn man das macht, versaut man sich auch noch die schönen Momente“, sagt Manuela Dorsun.
Lisa isst jetzt fünf Mahlzeiten am Tag, am liebsten Pommes frites, Tortellini und Leberwurst. Weil sie mit neun Kilo Gewicht immer noch weniger wiegt als die meisten ihrer Altersgenossen, fließen zusätzlich über eine Sonde rund um die Uhr Nährstoffe zum 20-cm-Hochleistungsdarm. Ab Januar will Manuela Dorsun wieder halbtags arbeiten gehen. Damit wieder Normalität in ihr Leben einzieht. Das ist ihr wichtig. Und auch das geht nur, weil sie weiß, dass die Johanniter bereit stehen, falls das Kindermädchen mal
überfordert ist. Die private Telefonnummer von Hildegard Mengel klebt weiterhin auf dem Telefon. Oliver Numrich
Danke für diesen tollen Beitrag. So etwas ist echt selten im Netz zu finden. Ich glaube es ist kaum vorstellbar wie schwierig diese Zeit für die Eltern ist!
Grüße Liza
Wenn sie fragen dazu haben oder intresse haben an frühchen dan besuchen sie mal http://www.fruehchenforum.com oder http://www.fruehchen-info.at
lg
Silvia