Eigentlich sollte es längst Touristenscharen anlocken, doch das Kaufhaus Kreuzberg am Kottbusser Tor hat noch immer nicht geöffnet, die Verhandlungen mit dem Vermieter stocken. Für 51 Existenzgründer, die im Szene-Kaufhaus Stände betreiben wollen, bedeutet das: Ungewissheit. Nadja Brähler, 33, hat ihren Job als Diplom-Designerin aufgegeben. Sechs Jahre in der Werbebranche waren ihr genug. Zu unkommunikativ, fremdbestimmt: „Du sitzt die ganze Zeit alleine vorm Mac und verstummst.“ Im Februar las sie in der Zeitung vom Kaufhaus Kreuzberg und ging zu einem Infoabend. Erster Eindruck: „Coole Leute, echte Kreuzberger, viele Schwule, mein Kiez.“ Sie entschied sich dafür, einen Stand für Lack- und Latexmode zu eröffnen. Das schafft man nicht nebenbei. Und weil es schon im Sommer 2003 losgehen sollte, kündigte sie und begann mit den Vorbereitungen: Sie schrieb einen Businessplan mit Zielgruppenanalyse, Rentabilitätsvorschau und Umsatzerwartung, machte ein Praktikum bei einer Latexschneiderei, verhandelte mit Zulieferern und beantragte einen Kredit für die Erstausstattung. Außerdem entwarf sie die Ladeneinrichtung und die erste eigene Kollektion: autonome Clubwear im Matrix-Look, Korsagen, Nietenbänder, punkig, eigenwillig. Doch das Kaufhaus kam nicht. Der Vermieter, die Zentrum Kreuzberg / Kreuzberg Merkezi, überraschte mit immer neuen Forderungen. Seit der ersten Absichtserklärung im Oktober 2002 lag im Mai 2003 schon der dritte Mietvertrag vor. Mit jeder Version stieg Miete und kamen neue Forderungen hinzu. Vor allem eine Klausel, die es dem Vermieter erlaubt, direkt auf das Mieterkonto zuzugreifen, verhinderte eine Unterzeichnung. Auch andere Gewerbemieter im Zentrum Kreuzberg stöhnen unter extrem hohen Mieten und Vermieter-Willkür. Viele Läden in dem tristen Betonpalast stehen leer. Am 5. Juli, als eigentlich feierlich eröffnet werden sollte, gab es stattdessen ein Straßenfest „nur einen Steinwurf“ vom zukünftigen Kaufhaus entfernt. Für Nadja und die anderen 50 verhinderten Existenzgründer wird es mit jedem Tag enger: Nicht nur, dass sie den Sommer und die Touristen verpasst haben. Auch Zusagen von Lieferanten und Geldgebern stehen auf dem Spiel. Die Warterei zehrt an Nerven und Privatvermögen. Doch für Nadja kommt Selbständigmachen nur im Kaufhaus in Frage. Ein eigener Laden wäre zu teurer, das Risiko zu hoch. Außerdem hilft die Kaufhausgemeinschaft bei Buchhaltung, Marketing und Werbung. Konkurrenz im eigenen Haus fürchtet sie nicht, im Gegenteil: „Wir haben die gleichen Ziele, ziehen gemeinsam mehr Publikum. Außerdem finden wir alle die Sachen der andern geil – wir werden selbst unsere besten Kunden.“ Wegen der Probleme mit dem Mietvertrag ist die Stimmung unter den „Ständen“ nicht mehr so euphorisch wie am Anfang. „Aber wir Kreuzberger sind zähe Kämpfer“, sagt Nadja, „das Kaufhaus Kreuzberg kommt.“ Oliver Numrich
[Nachtrag vom Autor: Es kam nie – der Vermieter hat es verhindert. ]
Kommentar verfassen