Mein schönes CSD-Wochenende 2009

tip berlin-Autor Oliver Numrich verrät, was er am CSD-Wochenende in Berlin so treibt.

Freitag, 26. Juni

Seit auf jeder Ratgeberseite steht, dass Gutscheine juristisch gesehen mindestens ein Jahr gültig sein müssen, fehlt mir der nötige Termindruck, sie einzulösen. Vor vielen Jahren habe ich zum Geburtstag den Eintritt in das Liquidrom geschenkt bekommen, den Besuch aber stets vor mir her geschoben und dann war das Tempodrom plötzlich insolvent und der Wellnesstempel dicht. Jetzt gab es wieder einen Gutschein fürs Baden, sogar mit inkludiertem Willkommens-Prosecco anlässlich von CSD und Pride Week. Freitagabend lös ich ihn ein…!

Samstag, 27. Juni

Ich gehe lieber zum Transgenialen CSD, anstatt als Touristenplaisier auf dem Kudamm zu enden. Dieses Jahr beginnt die Demo in Friedrichshain – angeblich weil einer der Organisatoren dort wohnt. Ganz abgesehen von mehr Bequemlichkeit für Einzelne – ich finde es wirklich sinnvoll, auch mal in Kreuzbergs Appendix die Regenbogenfahne hoch zu halten. Am Ende der Demoroute steht sicherlich das Habibi in der Oranienstraße 30. Dessen Wirt soll kürzlich ein Schwulenpaar mit einer Eisenstange angegriffen haben und jetzt ist hier Mahnwache angesagt. Irgendwie habe ich das Gefühl, die Toleranz gegenüber Andersliebenden ist endgültig aufgebraucht – zumindest in einigen Ecken Berlins.

Um nach all der Aufregung wieder zu Kräften zu kommen, gehe ich ins „Pata Pata“ an der Kottbusser Brücke (Graefestraße 93). Als Spezialitäten des Exoten-Imbiss gelten Backkartoffeln mit frischem Minzjoghurt, Banana-Bread und Empanadas, das sind gefüllte südamerikanische Teigtaschen mit Koreander-Chili-Dip. Aber ich bevorzuge das hausgemachte Chili con Carne.

Erst fiel das Verfassungsgericht, dann der Senat: Nur fünf Monate währte die schöne rauchfreie Zeit in Berliner Kneipen. Auch das Konrad Töns, das ich gerade zur Lieblings-Trash-Bar erküren wollte, ist jetzt wieder verqualmt. Wo kann man noch gesellig sein, ohne verpestet zu werden? Ich werde mich wohl für das Golden Finish entschließen. Die schwule Bar von Marc und Marcel ist noch neu im Straßenbild des Wrangelkiez, die Wandmalerei nicht jedermanns Sache und auch hier wird geraucht, aber an einem milden Sommerabend man kann in netter Runde vor der Tür sitzen und den alltäglichen Radau in 36 miterleben.

Sonntag, 28. Juni

Das Schönste am Sonntag sind die ruhigen Stunden am Morgen, wenn ich mit einem großen Becher Kaffee neben mir im Bett ein Buch lese. Ich bete, dass die Kinder im Hinterhof nicht wieder so laut rumschreien. Gegen Mittag lasse ich mich vom Hyperlinkstrudel des Internets mitreißen, aber erst, nachdem ich mein Persönlichstes nach außen gekehrt und auf Facebook und Xing meine täglichen Eintragungen erledigt habe – ganz zu Schäubles Freude. Meine Hoffnung ist, dass die Datenschnüffler aus der schieren Menge kleinteiliger Info-Häppchen in all den Blogs, Foren und Communities nichts Verwertbares mehr filtern können und gleichsam daran ersticken. Außerdem schreibe ich Beiträge für mein Langeoog-Blog, in dem ich die braune Vergangenheit meiner ostfriesischen Heimatinsel aufarbeite.

Mein Ärger über die Zigarettenmafia verraucht nicht so schnell und so plane ich für den Nachmittag, die „Route 1“ des Reiseführers durch den Berliner Lobbyisten-Dschungel abzuwandern, der von der Initiative LobbyControl herausgegeben wurde. Startpunkt ist der Verband der Chemischen Industrie (Ziehkinder Helmut Kohl, Friedrich Merz u. a.) in der Neustädtischen Kirchstraße, Schlusspunkt der Reichstag. Auf dem Weg liegt auch der Deutsche Zigarettenverband, der wichtigste Interessenvertreter der Tabakindustrie. Vorsitzende: Eine ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete. Wer wundert sich?

Am frühen Abend bleibe ich gleich in Mitte und hole mir eine schnelle Stärkung im DUDU am Rosenthaler Platz. Das Asia-Restaurant hat mir eine Freundin empfohlen, die dort manchmal aushilft und bezeugt, dass alles – auch hinter den Kulissen – total reinlich sei und gute Produkte verwendet würden, häufig sogar Bio-Sachen. Denn seit ich die Ekelliste des Bezirksamts Prenzlauer Berg online durchblättert habe, kann ich kein Restaurant mehr aufsuchen ohne mir katastrophalen hygienischen Umstände in der Küche auszumalen. Warum gibt es eine so eine effiziente Kontrolle nicht in ganz Berlin?! Abend Lange war es geplant, am Sonntagabend ist es endlich soweit: Mit einer großen Freundesclique besuche ich Mel Brooks „Producers“ im Admiralspalast. Weil das Privattheater so überaus knauserig ist mit Pressekarten, hat ein Freund, der sich damit brüstete Vergünstigen über seine Firma zu erhalten, die Karten bestellt: Sage und schreibe 65 Euro muss ich jetzt für die Karte berappen! Dieser Preis ist dem New Yorker Broadway ebenbürtig – hoffentlich ist es das Stück auch. Ich kenne beide Verfilmungen von 1968 und 2005 und habe große Angst davor, die Lieder auf Deutsch zu hören. Hoffentlich wird es gut.

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