Berliner Mythen: Die Heimat der promisken Schwulen

Die beiden Männer könnten verschiedener nicht sein: der ältere von beiden im Anzug, mit Krawatte und Aktentasche, der jüngere in Jeans und aufgeknöpftem Hemd. Es ist kurz nach Büroschluss, als sich die beiden auf der öffentlichen Toilette am Großen Stern begegnen. Sie sprechen kein Wort, ein paar verstohlene Blicke am Eingang, einige deutliche Gesten am Pissoir reichen zur Verständigung. Dann verschwinden sie zusammen in einer der Kabinen.

Klappen nennen Schwule jene öffentlichen Toiletten, von denen bekannt ist, dass sich hier Männer zum anonymen Sex treffen. Der große Reiz, den das für umtriebige Schwule darstellt, ist zugleich das große Ärgernis für Blasenschwache: Denn anders als in einschlägigen Darkroom-Bars begegnen auf der Klappe homosexuelle den heterosexuellen Männern, die es zu „erobern“ gilt. Hierher kommt der Bankkaufmann, der nach der Arbeit schnelle sexuelle Befriedigung sucht, bevor er zu seiner Familie nach Hause fährt. Und der experimentierfreudige Student, der sich vielleicht davon überzeugen lässt, sein bestes Stück durch eines der Löcher in der Trennwand zu schieben. Aber eben auch Leute, die einfach nur müssen, und nicht können, wenn begierige Blicke auf ihnen lasten. Als vor ein paar Jahren der Streit um die Nutzung des Toilettenhäuschens am Wilmersdorfer Preußenpark eskalierte, ließ der damalige CDU-Baustadtrat Schilder anbringen, die zur Rücksichtnahme von Nutzern gegenüber anderen Nutzern aufriefen. Außerdem wurde ein zusätzlicher pinkfarbener Mülleimer montiert, damit benutzte Kondome nicht herumfliegen. Ein Akt der Toleranz, der die Koexistenz verschiedener Nutzergruppen besiegelte. Dabei ist das Klappen-Phänomen nicht auf Berlin beschränkt: George Michael etwa wurde in Los Angelos auf einer öffentlichen Toilette erwischt, nachdem ihm dort ein Polizist eine Falle gestellt hatte. In Berlin sind Klappen weniger durch Ordnungshüter bedroht, als durch die Wall AG, die den finanzschwachen Senat vom Unterhalt vieler öffentlicher Toiletten befreit, um sie gegen gebührenpflichtige Automatenhäuschen zu ersetzen. In denen ist nur noch Platz für eine Person und längeres Verweilen wird durch die automatische Selbstreinigung verhindert. Und noch ein gewichtiger Umstand befördert das märkische Klappensterben: Die jüngeren Schwulen der Gayromeo-Generation kennen diese Form der erotischen Selbstverwirklichung einfach nicht mehr! Sie können sich nur schwer vorstellen, warum man sich zum Sex in stinkenden Toilettenhäuschen treffen sollte, wenn man sich doch viel bequemer online zum Sex verabreden kann. Oliver Numrich

Ersten Kommentar schreiben

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.