Frühstücken muss Emma Kloos wieder lernen. Jeden Tag neu, denn die 93-Jährige hat vergessen, wie es geht. Wenn die Schwiegertochter oder Ergotherapeutin Gabi Lederle nicht mithelfen, kann es passieren, dass sie von der Butter statt vom Brötchen abbeißt oder völlig ratlos und verloren vor dem gedeckten Tisch sitzt. Emma Kloos gehört zu der Demenzgruppe, die sich einmal die Woche im Johanniterhaus am Waldpark trifft. In der Einrichtung im kurpfälzischen Ladenburg leben 69 pflegebedürftige Frauen und Männer. 35 von ihnen leiden an Demenz.
Demenz ist ein medizinischer Fachbegriff, der nach eindeutiger Diagnose und klarer Behandlungsmethode klingt. Tatsächlich aber ist Demenz ein Sammelbegriff für viele Krankheitssymptome, deren Ursachen und Ausmaß nicht immer eindeutig auszumachen sind. Oft ist es Alzheimer, manchmal eine Gehirnblutung oder eine fortgeschrittene Verkalkung. Demenz hat viele Formen: Verlust von Gedächtnis, Merkfähigkeit und Orientierung sind charakteristisch. Auch werden Realität und Wunschvorstellungen miteinander vermischt. Das kann so weit gehen, dass ein Demenzkranker phasenweise vollkommen in einer eigenen Wirklichkeit mit einer eigenen Zeitrechnung lebt, oder selbst nahe Angehörige nicht mehr erkennt. Manchmal kommt es auch zu aggressiven Schüben. Häufig treten zur Vergesslichkeit noch andere Erkrankungen wie Apathie oder Depression hinzu. In der Demenzgruppe in Ladenburg sollen die betagten Frauen und Männer verlorene Fähigkeiten wieder zurückgewinnen und neue erlernen. Nach dem gemeinsamen Frühstück stricken, spielen, malen, lesen, trommeln oder singen sie gemeinsam mit den pflegerischen Fachkräften. Gabi Lederle gibt beispielsweise einzelnen Teilnehmern taktile Reize mit Massagebällen oder einem selbst gebastelten Tastmodell. Bei schönem Wetter geht das Grüppchen im angrenzenden Waldpark oder in der Ladenburger Altstadt spazieren. Andere Demenzkranke, die nicht mehr so ganz gut auf den Beinen sind, aber weiterhin einen großen Bewegungsdrang haben, sucht Schwester Manuela Brandt zur Einzeltherapie auf deren Zimmern auf, um dann mit ihnen geduldig den Gang auf- und abzugehen. Das helfe, sagt Manuela Brand, bei jenen, die den Drang haben wegzulaufen, auf der Suche nach dem alten Zuhause seien oder das Gefühl hätten, etwas vergessen oder verloren zu haben. Demenzkranke sind nur begrenzt in der Lage, ihre Wünsche und Bedürfnisse auszusprechen. Gerade im fortgeschrittenen Stadium besteht wenig Gewissheit darüber, ob Äußerungen das persönliche Erleben tatsächlich richtig wiedergeben. Um die Lebensqualität der Demenzkranken beurteilen und gegebenenfalls verbessern zu können, hat die Universität Heidelberg das Projekt „Heidelberger Instrument zur Lebensqualität Demenzkranker“, kurz H.I.L.D.E, ins Leben gerufen, an dem das Johanniterheim in Ladenburg teilnimmt. Die Wissenschaftler haben ein Modell für Lebensqualität entwickelt mit neun unterschiedlichen Dimensionen wie körperliche und geistige Gesundheit, Umgebung, Betreuungsqualität, Verhaltenskompetenz. Durch Interviews mit den Kranken, deren Angehörigen und dem pflegerischen und medizinischen Personal sowie durch eine Videoanalyse der Mimik der
Erkrankten ermitteln sie die Zufriedenheit in jedem Bereich des „Glücks-Modells“. Erste Ergebnisse sind im Herbst zu erwarten. Der am Forschungsprojekt beteiligte Goronto-Psychiater Dr. Ulrich Seidl rät Angehörigen, erste Anzeichen von Demenz ernst zu nehmen: „Wenn es Hinweise gibt, dass die Gedächtnisleistung stark nachlässt, dann sollte man genauer nachschauen lassen, was es ist. Gerade am Anfang können Medikamente den Prozess verlangsamen.“ Angehörige und Freunde sollten mit Demenzkranken sensibel umgehen und sie nicht mit ihren Defiziten konfrontieren, so der Mediziner. Bei Emma Kloos hat sich die intensive therapeutische Arbeit bereits ausgezahlt: Sie habe, sagt die Schwiegertochter, viele der Defizite, die vor ihrer Unterbringung im Johanniterheim entstanden waren, wieder ausgeglichen. So kann sie ihr Brötchen wieder selbst mit Marmelade bestreichen und alleine aus der Kaffeetasse nippen. Oliver Numrich
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