Heiter weiter: Aktive Senioren helfen einander

Im „Klub langer Menschen“ ist Willi Witt Ehrenmitglied. Und das, obwohl von seinen stattlichen 2,03 Metern Länge heute, mit 80, nur noch 1,96 Meter übrig geblieben sind. Mit Konfektionsgröße 114 und Schuhgröße 49 bekam er immer alles nach Maß: Die Uniform bei der Marine genau so wie den Anzug für die Berufsschule. Nach dem Krieg hat es den Matrosen von Wismar zum Berufskolleg der Stadt Bonn verschlagen. Vom Hilfslehrer brachte er es hier binnen 35 Jahren zum Oberstudiendirektor, verantwortlich für 120 Lehrer und 4.300 Schüler. „In der Schule war ich als Preuße verschrien“, sagt Willi Witt mit einigem Stolz in der Stimme, „jeden Tag um zehn nach fünf aus dem Haus, um fünf Uhr 30 am Schreibtisch.“

Willi auf der Veranda
Willi Witt auf seiner Veranda

Auch heute hat er für den Journalisten seinen grauen Wollanzug mit hellblauer Krawatte angelegt. „Herr Witt war unser fairer, stets gut gelaunter Erdkunde-Lehrer“, zitiert er einen Schüler und man glaub es ihm sofort. Der gebürtige Stettiner hat ein heiteres Gemüt und ist immer zu Scherzen aufgelegt. Mitunter fällt es schwer, seinen Döntjes zu folgen: „Jeden Morgen nehme ich einen Löffel Öl in den Mund, wenn ich im Bad meine Morgengymnastik mache“, erzählt er drauf los. War das jetzt ein Ulk? Nein, nein, das helfe den Abwehrkräften – seit fünf Jahren keine Erkältung! – und sei blanker Ernst. „Und wenn mir das nicht hilft, dann dem Reformhaus, wo ich das Öl immer kaufe“, schiebt er noch hinterher. Nur schreiben dürfe ich das nicht, das sei doch nicht wichtig. Aber was ist wichtig? Schreiben darf ich, dass er nach Pensionierung auf ein Zeitungsinserat der Johanniter stieß, in dem es um Seniorenfahrten ging. Doch eigenhändig den VW-Bus mit einer Ladung Senioren nach Spanien steuern wollte er nicht – das Auto wäre zu klein für seine langen Beine gewesen. Stattdessen fragte ihn Herr Gerhards, der Leiter der Aktiven Senioren in Siegburg, ob er zweimal die Woche eine behinderte Dame mit seinem Privatwagen zum Schwimmbad fahren könne. Er konnte. Vier Jahre lang – bis sein Schützling bettlegrig wurde – fuhr er sie samt Rollstuhl zum Schwimmen und holte sie wieder ab. Ob ihm das Einladen des Rollstuhls keine Probleme bereitet hat, will ich wissen. „Naja, ich bin ja noch einigermaßen wendig“, antwortet er beleidigt, „ich merke das nicht.“ Bis heute erledigt Witt ihren Schriftverkehr, bringt Kleinigkeiten wie einen Sack Kartoffeln oder Apfelsinen mit dem Fahrrad vorbei und geht einmal die Woche für sie Geld abheben. „Wir haben ein kameradschaftliches Verhältnis“, beschreibt Witt ihre Beziehung, „ich mache das gerne und sie versucht mich zu schonen.“ Als sie neulich ihren 84. Geburtstag feierte, kam Witt mit Frau Hildegard zu Besuch und brachte ihr Lieblingsessen „Stettiner Spickbrust“, drei Piccolos und einen schönen Blumenstrauß mit. Was er da macht, sei „nicht der Rede wert“ findet Witt. Um zu helfen, brauche man ein Herz, müsse kontaktfreudig sein, „nur Lorbeeren sollte man nicht verdienen wollen.“ So lang er könne, will er die Dame besuchen, lässt Witt seine nachdenkliche Seite durchblicken, „vielleicht auch in der Hoffnung, dass man selbst Hilfe bekommt, wenn man sie braucht.“ Doch dann ist der Schalk zurück und Witt spöttelt: „Ich möchte 110 Jahre alt werden, mich so wohl fühlen wie jetzt und dann aufwachen und tot sein.“ Oliver Numrich

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