„Das Organisatorische zu Beginn jedes Seminars nimmt immer mehr Raum ein“, klagt eine Bachelor-Studentin der Technischen Universität. Denn bevor es endlich losgeht, wird ausführlich die Anwesenheit jedes einzelnen geprüft. Die Studierenden dagegen beteiligen sich immer weniger, Diskussionen verebben, alles wird inhaltlich flach, weil kaum einer es schafft, die aufgetragene Fachliteratur zu lesen. In den hinteren Reihen wird währenddessen im Internet gesurft – Wireless LAN sei Dank. Mit dem Bachelor haben Tugenden aus der Schule Einzug in die Universität gehalten: Pflichtanwesenheit, Abfragewissen für Klausuren, Punktesammeln. Der „Work load“, das ist der theoretische Arbeitsaufwand eines Studierenden, ist in vielen Fächern exorbitant – kein Professor ist bereit, seinen Stoff oder seine Ansprüche zu reduzieren, obwohl jetzt viel mehr Kurse besucht werden müssen als vorher. Dass man den Studierenden nichts zutraue und immer mit der Keule hinter ihnen stehe, stört eine angehende Politologin: „Macht, macht, macht, ihr seid so faul!“ bekäme sie unisono von Profs und Uni-Leitung zu hören. Gerade für Leute, die selbstverantwortlich arbeiten wollen, sei das total demotivierend. Und wer nebenher noch jobben muss oder gar ein Kind hat, schafft es gar nicht mehr. Dieser Kritik schließt sich David Hachfeld an. „Es werden unrealistische Arbeitsanforderungen und die Wissenschaftlichkeit in Frage gestellt“, sagt das 27-jährige Mitglied des Akademischen Senats der FU, „den Studenten bleibt keine Zeit, ihr Studium richtig auszuführen und auch mal etwas zu vertiefen.“ Er empfiehlt Studierenden in Bachelor- und Masterstudiengängen deshalb, trotz allem ihr Studium so zu gestalten, wie sie es möchten, et was auszuprobieren, über den Tellerrand zu schauen, auch wenn es mal länger dauere als sieben oder acht Semester. „Orientiert euch nicht nur an den fixen Vorgaben, sondern geht vernünftig daran! Es gibt bescheuerte, unrealistische Vorstellungen wie das Studium zu sein hat, aber so muss man es nicht machen.“ Hachfeld hat sogar Verbündete unter den Professoren, wenigstens einen, auf den man sich immer verlassen kann: Peter Grottian vom Otto-Suhr-Institut der FU. „Wir müssen eine Reputationsschädigung des Bachelors hinkriegen“, verkündet der kampferprobte Recke. Grottian kritisiert, „dass man so tut, als ob man junge Leute wissenschaftlich ausbilden und mit wissenschaftlicher Urteilskraft auf den Arbeitsmarkt schicken könne.“ Das sei nicht zu verantworten, niemand könne in der kurzen Zeit, die das Bachelor-Studium lässt, seinen wissenschaftlichen, kommunikativen und sozialen Lernprozess zur Reife bringen. „Wer Humboldt ein bisschen ernst nimmt“, redet sich Grottian in Rage, „kann nicht ernsthaft glauben, dass ein wissenschaftlicher Lernprozess so schnell verläuft wie das Bräunen einer Pizza.“ Doch für viele Unternehmen ist gerade die Kürze des Studiums bis zum ersten Abschluss ein wesentlicher Vorteil des Bachelor-Studiengangs ,auch wenn die Absolventen noch nicht perfekt „gebräunt“ sind. Sie werden lieber im eigenen Unternehmen fertig gebacken. Etwa bei der dem Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen KMPG. Von den über 1000 Beschäftigten in der Region Ost arbeitet ein Großteil in der Berliner Klingelhöferstraße. „Der Schwerpunkt von KPMG liegt darauf, Bachelor zu rekrutieren und anschließend mit unserer eigenen Trainingsorganisation intern weiterzubilden und auf die entsprechenden Berufsexamina Wirtschaftsprüfer/Steuerberater vorzubereiten“, sagt Ulf Hellert, 40, Human-Ressources-Manager bei der KMPG. Die Art des Abschlusses, ob Bachelor oder Diplom, sei nicht das Entscheidende „es geht uns um Studieninhalte, Persönlichkeit und Leistungsorientierung der Kandidaten.“ Zurzeit analysiert die KPMG, wie die konkreten Ergebnisse der neuen Bachelorstudiengänge an den Universitäten aussehen. „Für uns ist es wichtig, uns mit unseren Kompetenzen in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, prüfungsnaher Beratung und Steuerberatung an den Universitäten einzubringen“, sagt der Personalmanager, „und den Prozess vom Diplom in Richtung Bachelor und Master aktiv zu begleiten.“ Das stimmt genau mit dem überein, was die Berliner IHK in einer Unternehmensbefragung herausgefunden hat: Von den 100 befragten Unternehmen verschiedener Größe und aus allen Branchen, haben zwei von drei Unternehmen bereits Bachelor-Absolventen eingestellt und können es sich für die Zukunft auch gut vorstellen. „Generell wird die Einführung des Bachelorstudienganges begrüßt“, sagt Kathrin Tews, 37, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Innovation, Technologie, Wissenschaft der IHK Berlin, „doch es gibt deshalb kein Misstrauen gegen die alten Abschlüsse, bei weitem nicht!“ Bei vielen Unternehmen herrsche noch immer ein Informationsdefizit, was ist der Bachelor überhaupt ist. Die Berliner Wirtschaft fordert schon lange, die Hochschulausbildung zu verkürzen und auf eine stärke Praxisorientierung und Internationalisierung der Abschlüsse zu achten. “Die Wirtschaft erhofft sich jüngere Absolventen“, sagt Tews, die nebenbei einen Master-Studiengang Bildungsmanagement an der Uni Oldenburg macht, „und dass sich die Studieninhalte stärker an der Praxis der Arbeitswelt orientieren.“ Jünger, schneller und dennoch Tiefgang. Denn der IHK ist trotz allem wichtig, dass die Studierenden in den Bachelorstudiengängen nicht nur Berufsbefähigung erlernen, „sondern auch überfachliche Qualifikation wie Teamfähigkeit und soziale Kompetenz, grundsätzliche wissenschaftliche Kompetenz“, fasst Tews die Forderungen zusammen. Trotz der Befürworter aus Wirtschaftskreisen bleibt Professor Grottian bei seiner Haltung: „Ein anständiges Studium gibt es nur mit Diplom, Bachelor darf nur ein Notausstieg sein.“ Und auch so mancher Unternehmer stelle lieber einen Menschen mit zehn oder zwölf Semestern ein, der eine gute Ausbildung, mit Auslandsaufenthalt, Praktika und vertiefendem Studium mitbringt, als einen in sechs Semestern durchgepeitschten Schnellstarter. Oliver Numrich
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