(Veröffentlichungsdatum 15.11.2008): Berlin ist mit zurzeit 71.000 Beschäftigten der zweitgrößte Standort der Kreativwirtschaft in Deutschland, verlautbarte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforderung Anfang August. Nach München mit 89.000 Beschäftigten, wenn man allein die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zugrunde legt. Nimmt man die zahlreichen Freiberufler und freien Mitarbeiter in Medien, Information und Kommunikation sowie Kultur hinzu, kommt man sogar auf insgesamt über 150.000 Personen, die in Berlin und Potsdam in der Kreativwirtschaft arbeiten – mehr als im verarbeitenden Gewerbe! Und die Branche boomt: Um fast 30 Prozent stieg die Zahl der Unternehmen in der Kreativwirtschaft Berlins zwischen 2000 bis 2005. Das Wachstum war damit mehr als doppelt so stark wie an den übrigen Kreativstandorten.
In Berlin gibt es eben alles, was Kreative brauchen: niedrige Mieten zum wohnen und arbeiten, geistige und künstlerische Freizügigkeit und viele Menschen, die offen sind für Neues und Verrücktes. Auch Stefan Kellner erkannte die vielgestaltigen Vorzüge Berlins, als er sich mit seinem Startup plazes.com in Berlin niederließ. Anfang 2006 hat er mit seinem damaligen Kollegen Felix Petersen den Internetservice gegründet, der derzeitige und zukünftige Aufenthaltsorte seiner Benutzer anzeigt. „Die Idee zu einem Lokalisierungsdienst entstand, weil Felix immer zwischen Berlin und Köln pendeln musste“, sagt Kellner, „es war viel Aufwand allen zu sagen, wo er grade ist.“ Das müsste man mit Hilfe des Internets automatisieren können, haben sich die beiden Freunde gedacht und plazes.com zunächst als „Mondlicht-Projekt“ neben der Festanstellung aufgebaut. Schließlich sei „Wo bist Du gerade?“ nach wie vor die meist gestellte Frage am Handy, erklärt Kellner den Bedarf, den sein Dienst decken will. Dank platzes.com entfalle die zeitraubende Auskunft, weil Freunde und Bekannte automatisch über das Web informiert werden. Anfangs waren sie noch zu fünft, mittlerweile gehören 16 Mitarbeiter zum Team. Und Kellner würde gerne noch mehr einstellen, doch er findet keine. Das liegt nicht unbedingt an überzogenen Ansprüchen. Anwärter müssen mit der Entwicklungssoftware ruby-on-rails umgehen können, eigenständig arbeiten und die englische Sprache beherrschen, der Rest ist Kellner ziemlich egal. „Das Alter ist mir wurscht, ich bin mit 38 Jahren auch nicht im typischen Start-up-Alter“, sagt der studierte Jurist und beteuert, dass ihn auch Zertifikate nicht sonderlich interessieren. „Klar ist es gut, wenn jemand studierter Informatiker ist, aber bis jetzt arbeiten hier nur Leute ohne ein entsprechendes Diplom.“ Ein weiteres Problem bei der Mitarbeitersuche sei, dass manche ihren festen Job nicht für ein Start-up aufgeben wollen, weil sie ungeregelte Arbeitszeiten befürchten, an der Überlebensfähigkeit des Unternehmens oder den Managementfähigkeiten der Gründer zweifeln. Und schließlich sei Berlin eben auch die Hauptstadt der Selbstverwirklicher, die freiberuflich hier und da arbeiten und nebenbei eigenen Projekten nachgehen. „Die wollen und können sich nicht langfristig binden“, sagt Kellner bedauernd, „aber wenn die nach zwei Monaten plötzlich keine Zeit mehr haben, stehen wir vor einem Problem.“ Das bestätigt auch Christoph Irrgang, Koordinator für die IT-Wirtschaft bei der Berliner IHK: „Viele beschäftigen sich selbst als Inhaber und darüber hinaus haben sie kaum Festangestellte.“ Umgekehrt bedeute das für jemanden, der in Berlin einen Arbeitsgeber sucht, dass er es mit einem sehr kleinteiligen Markt zu tun hat und viele Klinken putzen muss, um endlich das Passende zu finden. Auch Kellners Schwierigkeiten bei der Mitarbeitersuche überraschen den IHK-Experten nicht. „Von diesem Problem in der IT-Branche hören wir häufiger“, sagt Irrgang, „die gesunden Mittelständler in Berlin sind auf der Suche nach Fachkräften im IT-Bereich und liegen damit im bundesweiten Trend, der da heißt Fachkräftemangel.“ Doch aus dem bekannten Mangel sollten Arbeitssuchende ihren Nutzen ziehen: „Werde Fachkraft!“ rät Irrgang all jenen, die ohne Job sind, denn überall im IT-Bereich würden differenzierte Qualifizierungen gesucht, vom Lehrberuf mit Ausbildung bis zum klassischen Informatiker mit Hochschulabschluss. „Platzhirsch“ Kellner rät jungen Leuten auf Arbeitssuche zudem zur Eigeninitiative. Wer selbständig ein Konzept entwickelt und umgesetzt hat, der verbessere bei jeder Bewerbung seine Chancen. Oliver Numrich
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