Es ist Weihnachten, Heiliger Tag, und ich bin bei meinen Eltern auf Langeoog. Sie sind beide seit Jahr und Tag bei der AOK Niedersachsen versichert und haben schon so manches mit ihrer Krankenkasse erlebt – im Guten wie im weniger Guten. Heute kam die Mitgliederzeitschrift und bestürzte mich: Selten habe ich so eine Ansammlung von Geriatrie- und Abzock-Produkten in einer einzelnen Zeitschrift gefunden. Das setzt sogleich eine endlose Kette negativer Assoziationen in Gang: Sind meine Eltern in dieser Kasse überhaupt gut aufgehoben? Werden sie gut versorgt sein – auch mit zunehmenden Alter? Bekanntlich ist ja auch Gesundheitsministerin UllaSchmidt (SPD) wie die meisten Minister privat krankenversichert – was kann also ich für meine Eltern tun? Kann ich sie nicht zu einem Wechsel in eine Kasse bewegen, die einen weniger kränklichen, leichtgläubigen und betreuungsbedürftigen Mitgliederpool hat wie ihn die AOK-Mitgliederzeitschrift nahelegt?
Was findet man in dem auf dünnem Papier gedruckten Heft? Gestreckt über eine Doppelseite bietet ein Sanitätsversandhandel diverse Gesundheitsprodukte vom „Aktiv Balance Plate“ bis zum „Best-Schlaf-Kissen“ aus Viskose an, deren gesundheitsfördernde Wirkung medizinisch umstritten sein dürfte. Hoffentlich bestellen meine Eltern nichts von dem teuren Schrott. Nicht fehlen dürfen Badewannen- und Treppenlifter in verschiedenen Ausführungen. Ein Hersteller preist sich als der größte (Hiro, Seite 21), ein anderer als der, der am meisten verkauft (Lifta, Seite 39), und wieder ein anderer sucht noch Handelsvertreter (AS Seniorenprodukte, Seite 39). Die angebotenen Klettpantoffel (39,95 Euro) und warmen Winterstiefel samt Gratis-Handtasche (zusammen 29,95 Euro) sind nur einen Augenaufschlag von der Senioren-Nepp-Busreise entfernt, auf denen hilflosen Rentnern Kamelhaardecken zu Fantasiepreisen angedreht werden. Hübsch auch die auf der teuren, rechten Seite 11 platzierte Ganzseitenanzeige eines Pillendrehers, der die Leser auffordert: „Sprechen wir offen über Ihre Blase…“ und weiter unten „begeisterte Kunden“ zu Wort kommen lässt. Zum Beispiel einen Willi Zajonz aus Harsum: „Ich kann länger das Wasser halten.“
Rund 24 der 56 Seiten bestehen nur aus Werbung, die redaktionellen Beiträge sind lahm und bar jeder guten Idee oder neuen Information. Alles wird hübsch garniert mit glatten, lächelnden Gesichtern aus dem Getty-Kaufbilderlager. All das mündet in dem gut versteckten Hinweis der AOK auf der vorletzten Innenseite des Hefts: „Alle in der Werbung angebotenen Produkte stellen keine Empfehlung der AOK dar und gehören nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie sind somit auch nicht erstattungsfähig.“ Ich will nur hoffen, dass der wdv-Verlag, der das Heft für die AOK produziert, ordentlich Geld damit verdient – damit sich wenigstens einer auf die nächste Ausgabe freuen kann.
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