Dänen, Iren, Spanier und Amerikaner haben eine neue Geldanlage für sich entdeckt: Berliner Mietwohnungen. Ihre starke Nachfrage bringt den hiesigen Wohnungsmarkt in Wallung, die Preise ziehen an. Einheimische Interessenten müssen sich sputen, sonst bleiben für sie nur noch teure Schrott-Immobilien. 120 Quadratmeter, Altbau, drei Zimmer ganz oben, Kamin, für 120.000 Euro. Thorsten Tinney und Helena Blöcker glauben an ein Schnäppchen, als sie auf das Exposé der Eigentumswohnung bei immobilienscout24.de stoßen. Dazu noch Verkauf von privat, also ohne die lästigen sechs Prozent Provision, die Berliner Makler in der Regel vom Käufer verlangen. Das Schauspieler-Pärchen vereinbart sofort einen Besichtigungstermin mit dem Besitzer und braust im grauen Audi nach Steglitz.
Noch auf der Stadtautobahn wird die Wohnung eingerichtet: Omas großer Kleiderschrank passt genau neben das Bett, die Couch vor den Kamin, die Küche bekommt einen Bistro-Tischchen für den schnellen Kaffee am Morgen – die Szenerie atmet tiefes häusliches Glück! Obwohl die beiden ständig in ganz Deutschland unterwegs sind, wollen sie doch einen sicheren Heimathafen in Berlin haben, „einen Platz, wo die Mehrzahl meiner Bücher steht“, beschreibt es der Charakterdarsteller. „Ich muss einen Mittelpunkt im Leben haben, ich bin ja so schon immer hin und her geworfen zwischen Rollen und Städten.“ Und heute sieht es ganz so aus, als hätte er ihn nach elf erfolglosen Besichtigungen gefunden. Es herrscht noch Champagnerlaune, als die beiden aus dem Auto steigen. Doch der erste Blick auf das Traumhaus genügt, um beide schlagartig zu ernüchtern: Der Altbau ist aus den dreißiger Jahren, die Decken niedrig, zu zwei Seiten braust dichter Verkehr, vor dem Haus leuchtet eine Tankstelle. „Man hört selbst im vierten Stock permanent die Autos“ sagt Tinney enttäuscht, „und da bin ich natürlich bei einer Kaufwohnung sensibler als wenn ich miete.“ Eine Wohnungsbesichtigung ist eben wie das erste Date mit einem Unbekannten: zu 99 Prozent eine maßlose Enttäuschung. „Man redet sich die Anzeige schön, man fantasiert, weil man will, dass es passt“, sagt Tinney. Auch die Freundin will sich nicht recht erwärmen. „Ganz schlimm fand ich, dass die Nachbarn ihre vollen Mülltüten in den Hausflur gestellt haben.“
Pech für alle, die sich im Moment nach einer Eigentumswohnung umsehen: Das Angebot an gutem Wohnraum wird spürbar knapper! Denn Berliner Zimmer sind gefragt wie lange nicht mehr! Der hiesige Immobilienmarkt ist kräftig in Bewegung geraten und schuld daran sind ausländische Investoren, die ihm enorme Entwicklungspotentiale zuschreiben. Sie kommen mit Billigfliegern aus Kopenhagen, Dublin und Rom. Montagsfrüh sind die Maschinen so gestopft voll, dass die Flieger unter Maklern schon „Investment-Bomber“ heißen. Bereits in der Luft werden Exposes studiert, einer schielt dem anderen in den Schoß, denn jeder will sich die Rosinen rauspicken – es herrscht ein erbitterter Häuserkampf um Berlin. Die Folgen sind überall deutlich zu spüren: die Sachbearbeiterinnen vieler großer Hausverwaltungen müssen jetzt allabendlich Englischkurse besuchen, ganze Kanzleien haben sich auf die juristische Beratung ausländischer Investoren spezialisiert, erklären ihnen, dass Mieter in Deutschland ein paar Rechte genießen, wie eine Nebenkostenabrechnung aussieht und dass man bei Altbauten mit Denkmalschützern rechnen muss. Selbst das das englischsprachige Magazin „Exberliner“ gibt seinen Lesern unter dem Titel “Buying a flat in Berlin“ ein paar Tipps für den Wohnungskauf auf den Weg. Alle wollen am neuen Geschäft mit den Wohnungen mitverdienen. „Die ausländischen Investoren haben die Renditechancen vor den einheimischen erkannt und nutzen sie, denn sie kennen die Dynamik ihrer Heimatmärkte“, sagt Rackham Schröder, Geschäftsführer der Sparte Gewerbeimmobilien beim Maklerbüro Engel & Völkers, „allerdings sind in Kopenhagen oder Barcelona nur noch Renditen von zwei Prozent drin, in Berlin dagegen weitaus mehr.“
Den ersten Boom gab es bereits kurz nach dem Mauerfall und der Entscheidung für Berlin als Hauptstadt. Alle glaubten damals, der neue Regierungssitz würde die märkische Sandburg zur Megametropole machen und spekulierten auf drastisch steigende Immobilienpreise. Die Möglichkeiten für steuerliche Sonderabschreibungen taten ihr übriges und machten den Ostteil der Stadt für Investoren zusätzlich attraktiv. Doch bekanntlich kam alles anders: Der Aufschwung ließ auf sich warten, die Stadt verlor Einwohner anstatt zu wachsen und immer mehr Industriearbeitsplätze wurden abgewickelt. Nach Auslaufen der Sonderabschreibungen 1997 stagnierte der Markt endgültig – wer in der Nachwende-Euphorie gekauft hatte, musste nun mit erheblichen Wertverlusten zurechtkommen. Heute können alle wieder aufatmen, die zu früh investiert haben, denn der Wind hat sich gedreht. „Die positive Grundstimmung des vergangenen Jahres und des ersten Halbjahres 2006 hält weiter an“, frohlockt der Ring Deutscher Makler, Landesverband Berlin-Brandenburg, in einer Pressemitteilung Ende September. Besonders spannend sei die Trendwende beim Miethausmarkt: „Die dynamische Entwicklung hat viele Marktteilnehmer überrascht und ein Ende ist noch nicht in Sicht.“ Vor allem die Nachfrage aus dem Ausland sei sehr stark, da die Berliner Immobilien im Vergleich mit denen anderer europäischer Hauptstädten deutlich unterbewertet seien. „Mit dem Verkauf der GSW fiel der Startschuss für eine Jagd um die attraktivsten Berliner Immobilien“, jubelt Rackham Schröder. Im Mai 2004 ging die bis dato landeseigene Wohnungsbaugesellschaft für 405 Millionen Euro an den US-amerikanischen Private Equity-Fond mit dem schönen Namen Cerberus, zu Deutsch „Höllenhund“. Im Windschatten des großen institutionellen Anlegers Cerberus kamen auch kleinere ausländische Investoren, die nur ein oder zwei Wohnhäuser kaufen und schließlich auch immer mehr Privatleute, die sich eine billige Zweitwohnung an der Spree zulegen. Anders als die Berliner haben die meisten Zugezogenen keine Scheu vor Kauf und Finanzierung, denn in vielen Metropolen ist es üblich, seine Wohnung zu erwerben, anstatt wie in Berlin zur Miete zu wohnen. Die Immobiliencommunity sei eben klein, meint Schröder, man kriege mit, wenn irgendwo ein Markt entdeckt wird. „Seitdem performt der Berliner Markt“, sagt der 35-jährige Betriebswirt und guckt zufrieden aus seinem Fenster im 19. Stock. Sein Büro ist im selben Bürotower an der Rudi-Dutschke-Straße wie das der GSW. Hier spielt auch die SAT.1- Soap „Verliebt in Berlin“ und das sind sie ungelogen bis über beide Ohren: 2006 ist eines der besten Jahre in der Geschichte des Maklerbüros, Schröders 100 Mitarbeiter haben 200 Objekte gehandelt und über eine Milliarde Euro umgesetzt.
Doch der Run auf Berliner Immobilien versetzt nicht alle in Freudentaumel. Reiner Wild lässt er vielmehr die Sorgenfalten in die Stirn treten. Denn die gesteigene Nachfrage hat nicht nur Auswirkungen auf Kaufimmobilien, sondern auch auf die Mieten und Rainer Wild ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins. „Die Situation für die Mieter wird sich verschlechtern“, prophezeit er. Denn um die Einnahmen zu steigern und damit Einstiegskosten und Kredite zu begleichen, gebe es für Immobilienbesitzer nur drei Möglichkeiten: Erstens Kostensenkung bei der Verwaltung, zum Beispiel indem Investitionen und Instandhaltungen zurückgefahren und Personal abgebaut wird, was zu Lasten des Mieter-Service ginge. Zweitens durch den Weiterverkauf einzelner Wohnungen. Und schließlich und endlich durch Mieterhöhungen. Dazu durchforstet der neue Besitzer den Bestand und erhöht überall bis zum Anschlag. Im freifinanzierten Wohnungsbau gibt es da zwei gesetzliche Obergrenzen: Die ortsübliche Vergleichsmiete und die Maßgabe, dass die Miete innerhalb von drei Jahren nicht mehr als 20 Prozent steigen darf. Gerade wer noch mit einem Uralt-Mietvertrag ausgestattet und unverschämt günstig in einer Stuck behangenen Gründerzeit-Wohnung sitzt, wird sich nach einem Verkauf seines Hauses auf Mieterhöhungen einstellen müssen. Denn vor allem im alten Westteil sind noch viele Objekte in privater Hand und nicht auf Höchstertrag getrimmt. „Wenn jemand ein Haus über Jahre besitzt, ist der Kreditdruck oft nicht mehr so hoch, weil vieles bereits abgezahlt ist“, erklärt Reiner Wild die vermeintliche Großzügigkeit von Altbesitzern. In manchen Kudamm-Seitenstraßen zum Beispiel findet man heute noch Mieten um 5,50 Euro den Quadratmeter – solche Objekte wecken Begehrlichkeiten bei Investoren, denn da ist ordentlich Spielraum für Erhöhungen drin. Diese wiederum treiben den gesamten Mietspiegel nach oben, der ja nichts anderes ist, als ein Vergleichswert, eine Sammlung von Durchschnittsmieten innerhalb eines Gebiets, sortiert nach unterschiedlichen Ausstattungsmerkmalen. Erhöhen sich rundherum die Mieten, steigt auch das Niveau des Mietspiegels und damit ist der Weg frei für eine neuerliche Erhöhungsrunde auch in nicht verkauften Wohnungen. „Durch die Verkäufe wird das Angebot an preiswertem Wohnraum knapper, weil sie Mieterhöhungsspielräume massiv ausnutzen“, sagt Wild, die Verkaufsspirale ließe nach und nach alle Mieten deutlich ansteigen.
Das Nachsehen angesichts der hektischen Aktivitäten auf dem Wohnungsmarkt haben die weniger finanzstarken, einheimischen Käufer, Leute wie Thorsten Tinney und Helena Blöcker. Falls sie nicht doch noch ein Schnäppchen machen, bleiben für sie nur zentrumsferne Lagen oder gar Schrott-Immobilien übrig. Bisher konnte keiner der drei Makler, mit denen sie in dauerndem Kontakt stehen, Angebote vorlegen, die sie begeistert hätten. Einer der drei, der ungenannt bleiben will, klagt darüber, kaum noch an marktgängige Objekte zu kommen. Auch er verkauft in seinem kleinen Wilmersdorfer Ladenbüro hauptsächlich an Ausländer, die einfach mehr ausgeben könnten. Einem jungen Dänen, eben über 20, hat er gerade eine 4-Zimmer-Wohnung in Kreuzberg verkauft, unsaniert für 100.000 Euro. Für den Dänen ein rechter Spottpreis, denn sein Appartement in der Innenstadt von Kopenhagen verkaufte er selbst für 200.000 Euro. Es ist der vierte Däne in dem Wohnhaus nahe dem Landwehrkanal. „Berlin gefällt denen gut, weil es billig ist und hier 24 Stunden lang was los ist“, meint der Makler. Zwei andere Dänen haben grade ein ganzes Haus in der Zossener Straße gekauft. Sie wollen sich das Dach ausbauen, damit sie am Wochenende auch mal Spaß in der Stadt haben können. Berliner Interessenten seien eben immer noch verwöhnt. „Die haben noch nicht mitbekommen, dass er Markt anzieht“, grummelt der bärtige Makler, „die handeln auf Teufel komm raus oder warten noch ab.“ Doch wie lange können sie sich das noch leisten? Auch Thorsten Tinney und Helena Blöcker sind noch nicht bereit, sich von ihren Vorstellungen von der perfekten Eigentumswohnung zu lösen: „Hell, mit weitem Blick und Sonne, möglichst ruhig, aber zentral, günstig, nette Nachbarn.“ Dann lacht Tinney sein tiefes, herzliches Lachen á la Dean Martin, einer seiner Parade-Rollen: „Klar sucht man erstmal mit einem Ideal im Kopf, aber natürlich muss man dann doch Abstriche machen.“ Noch ist es allerdings nicht soweit. „Ich beharre noch ein zwei Monate auf meinen Prinzipien, dann muss ich runter gehen.“ Zuhause setzen sich die beiden gleich wieder an den Rechner und durchpflügen das Internet nach Angeboten. In vier Monaten müssen sie aus der Mietwohnung raus… Oliver Numrich
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