Lebensmittelampel „Nutri-Score“ auf immer mehr Produkten

Nutri-Score Collage

Ernährung und Gesundheit sind komplexe Themen – die Menschen benötigen höchst unterschiedliche Mengen an Kalorien und Nährstoffen, je nach Alter, Gewicht, Geschlecht, Lebenssituation und körperlichen Voraussetzungen. Und schließlich spielen auch Esskultur und individueller Geschmack eine wichtige Rolle bei der Zusammenstellung des Speiseplans.

Die Menschen in westlichen Industrienationen leben immer gesünder und immer länger unter nahezu paradiesischen Bedingungen: Hungersnöte oder Versorgungsengpässe kennen sie nicht mehr – es ist immer alles für jeden Geldbeutel verfügbar und noch zudem absolut sicher vor Verderb oder Befall. Außerdem wird immer mehr verzehrfertig und „to go“ angeboten, wodurch man überhaupt keine Koch- oder Zubereitungsfertigkeiten mehr benötigt, um sich jederzeit und an jedwedem Ort abwechslungsreich ernähren zu können.

Dennoch haben seit einigen Jahren die staatlich alimentierten Verbraucherschützer, Kampagnenorganisationen und Politiker das Feld der Ernährung für sich entdeckt und nehmen massiv Einfluss darauf, was der Einzelne isst und so was angeboten wird. Die Folge: Immer mehr Menschen werden verunsichert und verlernen, ihrem eigenen Urteilsvermögen zu vertrauen, die eigenen Sinne und den eigenen Hausverstand zu nutzen, um selbst zu entscheiden, was sie essen.

Diese Entwicklung geht einher mit einem weltweiten Trend, Ernährung als eine Art Religionsersatz zu betrachten. Man glaubt nicht mehr an Gott, sondern an die einzig richtige Ernährung! Diese kann in ausschließlich vegetarischer, veganer, Bio-Kost oder einer gluten- oder lactose-freien Ernährung bestehen oder sich um die Ergänzung von Proteinen, Mineralstoffen oder Vitaminen oder umgekehrt um den Verzicht auf bestimmte Inhaltsstoffe wie Kohlenhydrate, Fett oder Zucker drehen.

Es gibt immer mehr Experten und überall Regeln und Forderungen zur Ernährung. Die politischen und persönlichen Debatten um Ernährungsstile werden zuweilen mit ähnlicher Härte geführt wie früher Religionskriege. Toleranz? Fehlanzeige! Scheinbar definieren immer mehr Menschen ihre gesamte Persönlichkeit und Lebensweise über die Ernährung.

Verbrauchergängelung: Nannystaat läuft zur Hochform auf

Um die „dummen“ Verbraucher noch besser zu „schützen“, hat das Kabinett am 19. August 2020 auf Antrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), vor allem aber auf Drängen der professionellen Angstmacher, die freiwillige Einführung des Nutri-Score in Deutschland beschlossen. Dieser Wert soll mit Hilfe einer fünfteiligen Farb- und Buchstabenskala zeigen, welche Produkte gut und welche angeblich schlecht für den Verbraucher sind. Jedes Produkt jeglicher Produktgruppe wird damit auf eine Schulnote reduziert, die noch zudem für alle Verbraucher gleichermaßen anwendbar ist! Der Nannystaat läuft zur Hochform auf und nimmt den deutschen Konsumenten ans Patschehändchen.

Es gibt offensichtliche und versteckte Ungereimtheiten in der Formel des Nutri-Score (die übrigens bislang noch dem französischen Gesundheitsministerium gehört), aber das Schlimmste ist für mich die Gängelung von Verbrauchern und Wirtschaft. Zumal die ernährungswissenschaftlichen Grundlagen der Berechnung viel umstrittener sind, als man gemeinhin denkt. Die WHO-Empfehlungen für Zucker basieren beispielsweise auf uralten Studien, bei denen eigentlich Karies im Mittelpunkt stand. Und überhaupt sagt der Nutri-Score überhaupt nichts über die Menge aus, die jemand von einem Produkt zu sich nehmen kann, soll oder darf oder inwieweit eine darauf basierende Ernährung abwechslungsreich ist.

Die leckersten Süßigkeiten und Snacks sind jetzt in Gefahr

Meine größte Sorge ist, dass die originellen, leckeren Süßigkeiten und Snacks jetzt geschmäht werden und nach und nach aus den Sortimenten verschwinden, weil die Leute jetzt vor lauter Angstmacherei nur noch Lebensmittel kaufen, die kaum noch Zucker oder Fett und generell keinen Geschmack mehr enthalten. Wasser hat übrigens die Bestnote A beim NutriScore… Wahrscheinlich werden in einigen Jahrzehnten, wenn sich die Verbraucherbeschützer endgültig durchgesetzt haben, den Menschen, die als übergewichtig geschmäht werden, Magensonden eingepflanzt und sie kriegen dann nur noch den idealen Nahrungsbrei automatisch zugeteilt: genau die richtige Menge an Kalorien, Mineralstoffen, natürlich Bio, vegan, CO2-neutral und so weiter. Allerdings: mit Lebensqualität, Genuss oder gar Selbstbestimmung hat das dann nichts mehr zu tun!

Wie dem auch sei – hier sind jetzt einige Produkte, die den Nutri-Score bereits vorauseilend auf ihre Verpackung aufgebracht haben, darunter vor allem die Hersteller von Joghurt, Frühstückscerealien, Tiefkühlgerichten und abgepacktem Brot.

Ernährungskennzeichen anderer Länder

Übrigens gibt es innerhalb und außerhalb Europas viele andere Kennzeichnungen, die Verbraucher bei der „richtigen“ Wahl unterstützen sollen. Allerdings alle mit mäßigem oder kaum nachweisbarem Erfolg. Zum Beispiel das Schlüsselloch-Symbol in den skandinavischen Ländern, mit dem besonders vorteilhaft zusammengesetzte Nahrungsmittel ausgezeichnet werden.

Oder das Batteriesystem in Italien, das auch im anglo-amerikansichen Raum weit verbreitet ist. In Chile findet man farbige Balken auf schwarzem Grund, die den Gehalt von Salz, Zucker und Fett eines Nahrungsmittel darstellen (auf dem Foto links ist das Kennzeichen einer scharfe Chilisoße zu sehen). Und in Australien gibt es das Health Star Rating – die Kekse TimTam schneiden dabei relativ schlecht ab, mit dem nur einem halben Stern.

Süßigkeiten und Snacks mit dem Nutri-Score

Immer mehr Süßigkeiten werden mit dem Nutri-Score gekennzeichnet – in der Regel mit dem roten E. Vorreiter sind hier Nestlé und die Eigenmarken von Händler REWE, der sich frühzeitig selbst verpflichtet hat, seine Produkte mit der Nährwertampel auszuzeichnen. Kein Problem bereitet der Nutri-Score den Herstellern zuckerfreier Bonbons, weil Süßstoffe anders als Zucker keinen negativen Einfluss auf die Bewertung haben. Entsprechend hat Vivil alle seine Bonbons mit der Ampel ausgezeichnet.

Molkereiprodukte und Milchalternativen mit Nutri-Score auf der Verpackung

Auch die berühmte Kindheitserinnerung, der FruchtZwerg-Joghurt von Danone, wurde bereits einer Umerziehung unterzogen: Seine Rezeptur hat sich geändert, um die Nutri-Score-Note zu verbessern. Dafür schmeckt er gar nicht mehr so wie früher 🙁 In meinem Aldi-Markt wurde das reformulierte Produkt palettenweise zum Sonderpreis feilgeboten. Denn eins ist klar: Das wirtschaftliche Risiko dieses Experiments tragen vor allem die Hersteller und zum Teil noch die Händler. Doch nicht jeder Hersteller ist ökonomisch oder praktisch in der Lage, sein Produkt so zu modifizieren, dass es den Ernährungsaufsehern aus Frankreich gefällt. und selbst wenn es angepasst werden konnte, bedeutet das noch lange nicht, dass die Verbraucher es trotzdem kaufen.

Brot und Cerealien mit der Front-of-Package-Kennzeichnung

Die Brotbranche hat es vergleichsweise leicht, beim Nutri-Score A- und B-Noten zu erhalten. Entsprechend gern macht sie frühzeitig mit.

Tiefkühl-Produkte mit dem Nutri-Score

Die Konsumenten werden sich vielfach vom lieb gewonnen Geschmack ihrer Produkte verabschieden müssen: Um nicht auf die schlechtesten E- und F-Noten beim Nutri-Score zu kommen, verändern einige Hersteller ihre Rezepte – man nennt das reformulieren. Das ist ein erwünschter Begleiteffekt des Bewertungssystems. Er führt aber leider dazu, dass die jahrzehntelang optimierten Rezepte verändert werden müssen und nach und nach vieles weniger gut schmeckt, weil zum Beispiel Fett, Zucker, Salz oder andere wichtige Zutaten reduziert werden, um die Benotung zu verbessern. Das Schlimme: Wir Foodlover können wenig dagegen tun: Die Lobby der Geschmacksvernichter und Asketen-Apostel, die anderen Menschen ihren „gesunden“ Ernährungsstil aufzwingen wollen, hat die Medien und Politik fest im Würdgegriff.

Sonstige Produkte mit dem Nutri-Score

Einige Händler wie Kaufland, REWE oder Migros (Schweiz) haben sich verpflichtet, ihre Eigenmarken nach und nach mit dem Nutri-Score zu beschriften. Erstaunlicherweise wirbt etwa REWE in seinen Prospekten mit Produkten, obwohl diese teilweise den schlechtesten (E) oder zweitschlechtesten Wert (D) erhalten haben.

Übrigens hatte ich schon 2017 12 Thesen zur Verteidigung der Konsumfreiheit mit meinen Lesern geteilt, die die Zeitschrift Novo-Argumente damals aufgestellt hat. Ich habe mir auch über die Frage, ob es faire Süßigkeiten gibt, Gedanken gemacht und über meine größten Süßigkeiten-Enttäuschungen berichtet.  

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