Ex-Wrigley’s-Manager Schmidt: Erfolgreich dank hoher Spanne und Kassendisplays

Wrigley's Collage Naschkater.com

Nachdem Wilfried Schmidt jahrzehntelang als Topmanager für Wrigley’s auf der ganzen Welt gearbeitet hat, lebt er heute wieder vorwiegend in München und leitet mit einem seiner Söhne und ehemaligen Wrigley’s Managern von Dubai und Miami aus das Beratungsunternehmen für den Lebensmittel-Export „in die ganze Welt“.

Wir kennen uns von der gemeinsamen Arbeit in der Jury des Sweetie Awards der Rundschau für den Lebensmittelhandel. Neulich hatten wir endlich Gelegenheit für ein ausführliches Gespräch über die Besonderheiten beim Vertrieb von Kaugummi

Wilfried Schmidt BDI-World
Wilfried Schmidt hat eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann bei Dallmayr in München absolviert und danach Betriebswirtschaft parallel zu seiner Tätigkeit bei Wrigleys studiert. Vom Reisenden im Außendienst in 1971, dann Assistent des Verkaufsleiters, stieg er schnell zum Verkaufsleiter in Deutschland auf und war nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ab 1989 als Geschäftsleiter Vertrieb Deutschland und Export auch verantwortlich für die Erschließung des polnischen und des russischen Marktes. Seit 1997 war er von Dubai aus für den Aufbau Wrigley’s im Mittleren Osten, Afrika und ab 2004 auch für Lateinamerika zuständig.

Wie haben Sie Wrigleys in Europa so groß gemacht?

naschkater.com: Herr Schmidt, ich kann mich erinnern, dass es zu meinen Jugendzeiten in den 70er Jahren auch noch andere Kaugummi-Marken außer Wrigley’s gab. Inzwischen habe ich das Gefühl, es gibt nur noch Wrigley-Produkte. Wie haben Sie das geschafft?

Wilfried Schmidt: Wir haben kontinuierlich eine ganz klare Marktaufbaustrategie durchgeführt. Und massiv von den Fehlern anderer profitiert.

naschkater.com: Was haben die anderen falsch gemacht?

Wilfried Schmidt: Die Wettbewerber waren nicht fokussiert genug auf Kaugummi, sie haben die Eigenständigkeit der Produktgruppe unterschätzt. Zudem gab es in Europa kaum Wettbewerb, nur in einzelnen Ländern gab es lokale Platzhirsche wie Perfetti in Italien, Dandy in Dänemark und das „Hollywood“-Kaugummi von Warner Lambert in Frankreich, das heute zu Trident gehört. Zwischen Wrigleys und Trident, dem größten Wettbewerber, gab es damals ein Gentlemans-Agreement, das auf eine Absprache zwischen Trident-Gründer Thomas Adams und William Wrigley zurück ging, die 100 Jahre gehalten hat: Während sie auf dem US-Markt konkurrierten, sollte Trident die Märkte in Mittel- und Südamerika exklusiv haben und Wrigley Europa. Doch nachdem beide Unternehmen mehrmals verkauft wurden (Adams über den Umwege Cadburry Schweppes an Mondelez und Wrigleys an Mars), fühlt sich jetzt keiner mehr an diese Abmachung gebunden und beide expandieren in alle Märkte.

naschkater.com: Gab es damals überhaupt schon so eine starke Nachfrage nach Kaugummi für Erwachsene?

Wilfried Schmidt: In den 1970er und 80er Jahren gab es erstmal überhaupt kein Distributionsnetz für uns. Die „Großen“ wie EDEKA oder Rewe haben einen zwar gelistet, aber deshalb hat noch kein Händler unser Kaugummi bestellt. Für die großen Markenartikler, die Waschpulver, Orangensaft oder Kaffee herstellen, ist das ausreichend, die werden sowieso gekauft. Aber unser Produkt wird nur spontan gekauft, es lebt von der Breite des Angebots, man nennt das Ubiquität. Das Produkt muss überall da erhältlich sein, wo gerade Geld von Hand zu Hand wechselt: An den Kassen! Also mussten wir alle Geschäfte direkt ansprechen und überall unsere Displays dort anbringen.

Der gesamte Außendienst musste Ständer aufbauen! Dazu haben wir ein großes Netz von Mitarbeitern mit unterschiedlichem Hintergrund aufgebaut, die nicht die typischen „Verkäufer“ waren, sondern „Verkaufsförderer“ – für die Geschäfte. Die haben jeden Supermarkt, jeden Kiosk, jede Bäckerei und jede Tankstelle regelmäßig besucht und Distributionspflege gemacht. Dabei haben wir immer alle gleich häufig besucht – der Kiosk war für uns genau so wichtig wie der Supermarkt. Der traditionelle Lebensmittelhandel machte zu dieser Zeit ca. 50% des Umsatzes aus. Kioske, Tankstellen, Bäckereien und so weiter die andere Hälfte. Der Wrigley’s-Außendienst arbeitet, so wie ich gehört habe, auch heute noch verstärkt in der Breite, nicht nur in den Top-Key Accounts.

naschkater.com: Was meinen Sie mit Regalpflege?

Wilfried Schmidt: Produkte auffüllen, Haltbarkeit überprüfen. Wrigley’s Kaugummi hatte zwar nur eine neun Monate dauernde „Mindestfrische“, aber wenn es in die Nähe des Ablaufdatums kam, haben wir immer alles sofort kostenlos ausgetauscht. Mit dem Wissen darum, dass eine einzige schlechte „Kau-Erfahrung“ bei der Produktgruppe außerordentlich verkaufsmindernd ist. Wenn Sie einmal nicht das gewohnte Produkterlebnis haben, dann rühren sie danach viel Tage keinen Kaugummi mehr an. Einen „frischen“ Geschmack kaufen sie gleich wieder nach.

naschkater.com: Müssen die Händler diese Displays eigentlich bezahlen?

Wilfried Schmidt: Nein, die haben wir dem Handel kostenlos überlassen. Aber vor allem aus steuerlichen Gründen stand and den größeren Displays immer auch dran „Eigentum der Firma Wrigleys“. Das ging so weit, dass wir von großen Ketten automatisch eine Mitteilung erhielten, wann irgendwo ein neuer Supermarkt eröffnet, damit wir wieder die Displays vor der Eröffnung aufbauen konnten. Und mit diesen Displays an den Kassen verkauft ein Laden dreimal mehr Kaugummi als ohne. Wenn also so ein Ständer etwa drei Jahre lang hält, dann ist das eine einfache Rechnung: Alles was wir also machen müssen, um erfolgreich zu sein ist, diese Kassendisplays aufzustellen! Zumal wir darin auch extra Zusatzflächen für andere Impulsartikel eingebaut haben, z.B. für Schokoriegel oder Bonbons. Falls ein Supermarkt unser Angebot nicht wollte, war das ja nicht ganz so schlimm,  da ja jeder Konsument täglich meist mehrere Einkaufsstellen hat, wo er unserem Produkt dann finden kann.

Werbung ist wichtig, um eine sinnvolle Begründung für das Kauen zu geben

naschkater.com: Kaugummi ist ein Pfennigartikel, wie haben Sie dafür gesorgt, dass der Händler Interesse daran hat?

Wilfried Schmidt: Ein Händler kauft die Ware nur nach, wenn sie ihm eine große und sichere Spanne garantiert ist. Wir sind damals nicht zu Aldi und den meisten anderen Discountern gegangen. Wir haben keine Promotions zum halben Preis angeboten und damit bessere Margen garantiert. Der Kaugummi war für Einzelhändler und Kioskbesitzer lukrativer als eine Tafel Schokolade, die es woanders meist billiger im Sonderangebot gab. Unseren Kaugummi gab es – zumindest zu meiner Zeit – in keinem Absatzort merkbar günstiger. Die Verbindung zwischen guter Spanne und herausragendem Display hat unser Geschäft erst ermöglicht. Und, ganz wesentlich war, dass wir unseren Außendienst nicht als Verkäufer rumlaufen ließen, sondern als Verkaufsförderer, die dem Händler dabei halfen, dass er mehr verkauft. Wir haben die Idee verkauft, dass die Platzierung eines Displays ihm dreimal so viel einbringt, wie das einmalige Kaufen von zehn Schachteln. Das konnte er ja bei seinem Großhändler regelmäßig erledigen. Dadurch waren wir auch nie im Wettbewerb mit dem Großhandel; im Gegenteil.

naschkater.com: Das eine ist die Verfügbarkeit, aber man muss das Produkt auch kennen. Wie wichtig ist die Werbung?

Wilfried Schmidt: Klassische Werbung ist außerordentlich wichtig, um eine sinnvolle Begründung für das Kauen zu erzeugen. Sie brauchen einen positiven Grund, um Kaugummi zu kauen: Zahnreinigung zum Beispiel ist eine fantastische Begründung. Sie können ja leider nicht den eigentlichen Grund bewerben, warum die Menschen Kaugummi kauen: Weil sie ihre Anspannung oder Nervosität abbauen wollen. Wenn deswegen jemand Kaugummi kauft und kaut, würde er  ja zugeben, dass er nervös ist. Das wäre eine Negativausssage, und das wäre natürlich nicht gerade verkaufsfördernd.

naschkater.com: Demnach unterscheidet sich das Marketing für Kaugummi stark von dem für andere Süßigkeiten…

Wilfried Schmidt: Die Vermarktung von Kaugummi funktioniert aus meiner Sicht anders als bei anderen Süßigkeiten. Leider wendet die Firma Mars, die Wrigleys 2016 übernommen hat, für mich zu sehr die selben Methoden an wie bei ihren anderen Marken und fährt zu häufig Promotionen. Aber das war für mich nie ein adäquates Konzept den Kaugummiabsatz zu steigern. Der Verwendungsgrund für Kaugummi ist ein anderer als bei Schokolade: Einen Schokoriegel isst man, weil man Appetit hat und weil man Energie braucht. Kaugummi kaut man vor allem als „Beruhigungstherapeutikum“, z.B. als Ersatz für Zigaretten, nicht um notwendige Energie wieder aufzunehmen. Das sind zwei grundverschiedene Einkaufsmotivationen. Man kaut und kauft nicht Kaugummi, um etwas zu essen, sondern um sich abzureagieren und zu entspannen. Manchmal natürlich auch für frischen Atem. Aber sie kaufen kein Kaugummi, um es sich abends damit vor dem Fernseher gemütlich zu machen! Wenn sie versuchen, beides zusammen zu vermarkten, klappt das nicht so gut. Es haben meist nur „Spezialisten“ die Kategorie Kaugummi groß gemacht, nicht die großen Süßwarenmarkenartikler. Warum sonst haben Nestlé, Ferrero oder Hershey keine eigenen Kaugummi Marken…!?

naschkater.com: Zumindest Ferrero hat TicTac Gum und nimmt dafür auch Plätze in eigenen Regalen an den Kassen ein…

Wilfried Schmidt: …und hat dafür Jahrzehnte investiert und verkauft den größten Teil der Ware an den Handel daher gleich mit Display.

Der Konsument hat Geschmack und Elastizität von Kaugummi gelernt

naschkater.com: Ist diese Besonderheit bei Kaugummis der Grund, warum es so vergleichsweise wenig Wettbewerb gibt? 

Wilfried Schmidt: Natürlich! Weil ja der Markteintritt und die Markenpflege sehr kapitalintensiv sind: Der Umsatz pro Geschäft ist vergleichsweise gering, aber die Kosten, um Kauf-Impuls zu erzeugen und das Produkt in möglichst viele Läden mit guten Displays zu bringen, sind enorm hoch. Das ist eine große Herausforderung. Beim Kaugummi ist der reine Umsatz pro Absatzstelle im Verhältnis zu vielen anderen Produkten so gering, dass es sich für neue Marktteilnehmer nicht lohnt oder zu lange dauert. Dazu kommt: Warum soll ein Konsument einen tausendfach gelernten Kaugummigeschmack ändern? Besser kann man ihn sowieso kaum machen! Wissen Sie, nach 20 Minuten Kauen hat man ein bestimmtes Elastizitäts- und Geschmacksgefühl entwickelt. Wenn der Verbraucher jetzt was neues ausprobiert, und dann nicht die gleiche Kauelastizität erlebt, dann geht er in der Regel wieder zurück zum altbekannten.

naschkater.com: Unter Ihre Ägide fällt auch die Einführung der großen Dosen für Extra

Wilfried Schmidt: Die wurden in China entwickelt und diese Idee wurde dann in die ganze Welt „exportiert“.

naschkater.com: Waren oder sind die eigentlich erfolgreich? 

Wilfried Schmidt: Ja, sehr erfolgreich. Denn normalerweise haben Multipacks bei Kaugummi nie eine große Bedeutung gespielt, denn man kauft Kaugummi nur sehr selten auf Vorrat. Deshalb werden sie Kaugummi auch selten in der Süßigkeitenschublade einer Familie finden. Nur beim Autofahren ist es anders, da hat man einen Vorrat und dafür haben wir die wiederverschließbare Dose entwickelt, gleich mit der passenden Halterung dazu. Es ist sehr bequem das Produkt aus der Dose zu nehmen ohne die Aufmerksamkeit auf den Verkehr zu verlieren, man kann sich beim Fahren sehr gut entspannen und wachhalten.

naschkater.com: Was raten Sie – vor dem Hintergrund Ihrer Vertriebserfahrung – Gründern im Süßwarenbereich?

Wilfried Schmidt: Sie sollten ein außergewöhnliches Produkt entwicklen, ein Unikat, und das an wenigen Absatzstellen testen und erfolgreich machen. Sie müssen sich auf einer „Insel“ eine Bedeutung erarbeiten und von da aus dann Zug um Zug weiter wachsen. Gute Beispiele dafür gibt es viele, etwa Fritz-Cola, mymüsli und andere. Die wurden auch anfangs von der Konkurrenz nicht ernst genommen. Wenn so ein Produkt sein „in-Momentum“ bekommt, bauen sie das Geschäft schnell aus oder verkaufen es an einen großen Mitbewerber. Der Handel ist auch heute schneller bereit, diese Innovationen zu „günstigeren“ Bedingungen zu testen und zu listen.

naschkater.com: Viele Gründungen finden in speziellen Nischen statt und produzieren zum Beispiel vegane oder besonders nachhaltige Produkte und verkaufen die in Bioläden oder online… 

Wilfried Schmidt: Allergiefrei, vegan und so weiter sind  bisher sehr begrenzte Märkte – dieser Trend wird aus meiner Sicht massiv überschätzt. Und der Onlinehandel macht im Impuls-Süßwarenbereich augenblicklich vielleicht 1% aus.

naschkater.com: Danke für diesen spannenden Einblick. Wir sehen uns ja dann auf der Sweetie-Preisverleihung wieder…

Hubba Bubba wurde stiefmütterlich behandelt

Übrigens wurde Hubba Bubba von Wrigley lange als Stiefkind behandelt, sagt Schmidt. Ich habe diese interessante Randnotiz nachträglich in meinen Aufzeichnungen gefunden. „Wir haben Hubba Bubba nie gefördert, selten beworben. Es gibt nur wenige Kindermarken, denn Kinder kaufen ein solches Produkt nur nur begrenzte Zeit, später nicht mehr. Schließlich wollen Kinder so schnell wie möglich erwachsen wirken und wechseln dann sofort zum Erwachsenenprodukt, um die Erwachsenen nachzuahmen.

Die Altersspanne für Kinderkaugummi liegt zwischen 6 und 12 Jahren, dann wachsen sie da raus. Außerdem sehen auch Eltern zuckerfreie Produkte lieber. Hubba Bubba ist vom Volumen her ein sehr kleines Geschäft und wird von Mars gar nicht mehr gefördert. Dadurch fehlt natürlich für die mittlere Altersgruppe der Markteintritt in Kindesalter. Inzwischen kauen weniger Kinder Kaugummi und deshalb auch weniger Erwachsene. Es wird zu wenig in diesen Markt investiert.“

Einige originelle Kaugummis

Übrigens habe ich auch über das Ende des Orbit-Kaugummis in Deutschland berichtet, über plastikfreie Kaugummis von Wrigley und diversen Startups sowie hier über Kaugummi ganz allgemein geschrieben. 

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